HOME     INHALT     INFO     LINKS     ARCHIV     KONTAKT
 
     
  Erinnern Sie sich an die illegale Zerstörung des Irak?

Glenn Greenwald

Die politische Berichterstattung in den letzten paar Wochen wurde beherrscht durch die formelle Untersuchung der Illegalität und Täuschung hinter Tony Blairs Entscheidung, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika den Irak zu überfallen. Heute sagt Blair selbst vor der Untersuchungskommission aus und wird befragt über die zahlreichen falschen Behauptungen, die er im Lauf der Kriegsvorbereitungen gemacht hat, nicht nur bezüglich der irakischen Waffenprogramme (seine „innerhalb von 45 Minuten!!!“-Warnung) und Saddams Verbindungen zu al Qaeda, sondern auch über geheime Vereinbarungen über die Kooperation mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu einem Zeitpunkt, zu dem er und Bush vorgaben, sie hätten sich noch nicht entschlossen und warteten auf das Ergebnis der UNO-Verhandlungen und der Waffeninspektionen. 

Ein Schwerpunkt der Untersuchung ist die Illegalität des Krieges. Einige der beschämendsten Details, die ans Licht gekommen sind, betreffen die Feststellungen der eigenen Rechtsberater der Regierung des Vereinigten Königreichs, die Invasion in den Irak sei illegal ohne Zustimmung der UNO. Der höchste britische Rechtsbeamte hatte befunden, dass der Krieg illegal sei, nur um seine Meinung dann unter beträchtlichem Druck vor dem Überfall zu ändern. Vor einigen Wochen ergab eine formelle Untersuchung in den Niederlanden – deren Regierung die Invasion unterstützt hat – die erste offizielle Entscheidung betreffend die Rechtmäßigkeit des Krieges, und befand diesen für illegal, „ohne Grundlage im Internationalen Recht.“

Wie Digby bemerkt, steht das alles gänzlich und beschämend in Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Amerika, die sich weigern „zurück zu schauen“ oder sich damit zu befassen, ob sie einen illegalen (und furchtbar zerstörerischen) Krieg vom Zaun gebrochen haben. Die britische Untersuchung wurde weithin kritisiert, sie sei zu passiv und ehrerbietig und ihr fehle jede glaubhafte Drohung mit der Verantwortlichkeit (außer der Enthüllung der Tatsachen). Dennoch kann man sich kaum vorstellen, dass George Bush und Dick Cheney vor eine Untersuchungskommission gestellt und gezwungen werden, unter Eid öffentlich darüber auszusagen, was sie unternommen haben, um die Legalität oder die Illegalität dieses Krieges zu bestimmen. Solches Handeln würde zwei grundlegenden Prinzipien im politischen Leben Amerikas widersprechen: (1) unsere höchsten politischen Führer dürfen niemals verantwortlich gemacht werden für politische Handlungen, die sie in ihrer Amtszeit gesetzt haben; und (2) ob etwas, das sie tun, „illegal“ ist – besonders der Beginn eines Krieges – ist völlig irrelevant. Anstatt zu untersuchen, ob sie das Gesetz gebrochen haben, behandeln wir sie als erfahrene Staatsmänner, die ein Leben in Luxus und Verehrung durch die Medien verdienen. Tony Blair selbst - der über keine wahrnehmbare Expertise oder Erfahrung im Bankbereich verfügt – wird mit Reichtümern überhäuft für einen „Teilzeitjob“ von JP Morgan und von anderen Institutionen, die beträchtlich von seinen Taten in seiner Regierungszeit profitiert haben. 

All das unterstreicht die Tatsache, dass wir – ungeachtet der öffentlichen Debatte – uns noch immer kindisch und mit moralischer Blindheit dagegen sträuben, uns dem Ausmaß unseres Fehlverhaltens zu stellen, wenn es um den Irakkrieg geht. Mehrere hunderttausend Iraker – mindestens – wurden durch diesen Krieg getötet, weitere 4 Millionen zu Flüchtlingen gemacht. Wie der irakische Journalist und Professor Ali Fadhil 2008 sagte, zum fünften Jahrtag der Invasion durch die Vereinigten Staaten von Amerika: „Grundsätzlich ist meine Einschätzung, dass wir eine ganze Nation haben, die Irak genannt wird, die ist jetzt ausgelöscht.“ Im Gegensatz zur selbstgerechten herkömmlichen Denkweise hat die angebliche Verbesserung der Situation in der irakischen Gesellschaft nach der Truppenaufstockung nicht im entferntesten die durch die Invasion bewirkte Zerstörung abgemildert. Wie The Economist im September 2009 ausführte, stützt sich die von den Vereinigten Staaten von Amerika gestützte Regierung Maliki zunehmend auf aus Saddams Zeiten stammenden Taktiken der Folter, Zensur, gesetzlose Sektenmilizen und brutale Bestrafung von Widerstand: „Menschenrechtsverletzungen werden immer häufiger. Hinter vorgehaltener Hand fragen viele, besonders besser ausgebildete Iraker, ob sich ihr Land auf dem Weg zurück in einen Polizeistaat befindet.“

Der Überfall auf den Irak war unbestreitbar eines der größten Verbrechen der letzten Jahrzehnte. Stellen Sie sich vor, was zukünftige Historiker darüber sagen werden – ein nackter Aggressionskrieg, begonnen unter den falschesten Vorwänden, in schamloser Verletzung jeder gesetzlichen Vorgabe, der ein ganzes Land zerstörte, große Zahlen unschuldiger Menschen tötete und verheerende Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung hatte. Sind wir dem auch nur im entferntesten gerecht geworden? Wir sind bereit zuzugeben, dass es ein „Fehler“ war – ein unbedenklicher und durchaus verständlicher Fehler bei der Beurteilung – aber nur die Schrillen und Verwirrten unter uns nennen es ein Verbrechen. Wie immer ist es angebracht, sich vor Augen zu halten, dass Robert Jackson, der führende Ankläger im Nürnberger Tribunal, in seinem Schlussplädojer gegen die Nazi-Kriegsverbrecher darauf bestand, dass „das zentrale Verbrechen in dieser Konstellation von Verbrechen“ nicht Völkermord oder Massendeportation oder Konzentrationslager ist, sondern – „die Klammer, die all diese zusammenhält, ist das Komplott des aggressiven Krieges.“ Die Geschichte lehrt, dass der Angriffskrieg das schwerste und gefährlichste aller Verbrechen ist – indem er die schlimmsten Akte der Inhumanität ermöglicht – und illegaler, aggressiver Krieg ist genau das, was wir in Irak getan haben, mit dem Ergebnis großer Verheerung.  

Ich werde immer wieder kritisiert wegen eines „aufgebrachten“ Tones in meinen Schriften, was mich immer verblüfft. Ich verstehe echt nicht, warum Ärger vermieden werden sollte oder überhaupt werden könnte. Welche andere Reaktion ist angebracht, wenn man herumschaut und die Regierungsführer sieht, die diese schweren Verbrechen begangen haben und völlig unbelastet sind von jeglicher Verantwortung und als respektable Würdenträger behandelt werden, oder sieht, wie die Tom Friedmans, Jeffrey Goldbergs, Fred Hiatts und andere reuelose Medienpropagandisten, die bei der Durchsetzung geholfen haben, noch immer als ernsthafte und rechtschaffene Experten gefeiert werden, oder sieht, wie Kabinett und Senat voller Leute sind, die mitgewirkt haben, oder die Michael O’Hanlons und Les Gelbs und andere Leuchten der außenpolitischen Runden, die dem allen überparteiliche Glaubwürdigkeit verliehen haben und noch immer herumstolzieren und wichtig für weitere Kriege plädieren, die nie ihre Leben beeinträchtigen werden?    

Vor ein paar Monaten hatte ich einen Auftritt bei MSNBC mit Dan Senor, derzeit Nachrichtenredakteur bei Fox, Verfasser eines Buchs, das die Bedeutung der israelischen Innovationen preist, neues Mitglied des Rates für Außenbeziehungen, und Gemahl von CNN-Anchor Campbell Brown. Aber 2003 und 2004 war er Chefsprecher der „Coalition Provisional Authority“ („Provisorische Regierung der Koalition“) im Irak – der Okkupationsmacht in diesem Land. Als ich mit ihm vor dem Auftritt im grünen Raum saß, war ich wirklich angewidert von dem Paradoxon, dass von einem erwartet wird, ihn als irgend einen beliebigen politischen Kontrahenten zu behandeln, dem die übliche Höflichkeit, Respekt und Respektabilität zustehen – in anderen Worten, ein anständiger Mensch soll vergessen, dass er ein hoher Beamter war, der einige der ungeheuerlichsten Handlungen in den letzten Jahren ermöglicht und darüber gelogen hat und keinerlei Reue zeigt. Und, er präsentierte an diesem Tag seine Auffassung über unsere Möglichkeiten in der Außenpolitik auf MSNBC. Direkte Beteiligung an diesem entsetzlichen Verbrechen ist kein Faktor, der ausschließt, nicht einmal ein schwarzer Punkt auf der weißen Weste von Glaubwürdigkeit und Reputation.  

Mindestens Robert McNamara hatte den Anstand, ein zutiefst demütiges mea culpa zu schreiben und die letzten Jahrzehnte seines Lebens unter einer Wolke tiefer Scham und Schande zu verbringen, bis er starb. Glauben Sie, dass das auch mit einem dieser Leute passieren wird, die verantwortlich sind – in der Politik, in den Medien und unseren außenpolitischen Expertenkommissionen – für die unvorstellbaren Verbrechen der letzten Dekade, besonders den im Irak begangenen: Schock und Grauen und die Massaker von Fallujah und die Blackwater-Gemetzel und Abu Ghraibs und der ganze Rest?

Natürlich nicht. Sie lassen es sich unvermindert weiterhin gut gehen, während der Irak versucht, sich selbst aus den Trümmern der Verwüstung zu erheben, die sie verursacht haben. So zahnlos die britische Untersuchung auch zu sein scheint, zumindest gibt es da eine öffentliche Abrechnung, sind die Führer verpflichtet zu antworten und gibt es einen Versuch, die genaue Natur ihrer Verbrechen zu bestimmen. Und die Niederländer haben formell erklärt, dass der Krieg, an dem sie beteiligt waren, ein Verbrechen ist. Im Gegensatz dazu behandeln wir das alles als belangloses Relikt einer irrelevanten und entfernten Vergangenheit, und das alles, weil die Leute, die es getan haben, sich verbündet haben, um zu bestimmen, dass das schwerste mögliche Verbrechen nicht ist, was sie getan haben, sondern stattdessen wäre, wenn der Rest von uns untersuchte, was sie getan haben, und auf sinnvoller Verantwortung bestünde. 

 
     
  Erschienen am 29. Januar 2010 auf > http://www.salon.com > http://www.salon.com/news/opinion/glenn_greenwald/2010/01/29/iraq/index.html  
     
  <<< Inhalt