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  US – russische Beziehungen: Werben um den Westen

Eric Walberg

Der russische Führer hat die berühmte Goodwill-Tour seines Vorgängers vor einem halben Jahrhundert durch Amerika wiederholt, ist aber auf das gleiche Schema des Kalten Kriegs gestoßen. Werden seine Versuche, Freunde in Europa zu gewinnen, mehr Erfolg haben?

Die letzten zwei Jahre haben ein viel nachgiebigeres Russland gezeigt, das sich zurückgezogen hat von der feurigen Rhetorik Putins betreffend die NATO, den Krieg in Afghanistan und Amerikas Einschießen auf den Iran. Der russische Präsident Medvedev hat die russische Außenpolitik herumgedreht und spielt den Vereinigten Staaten von Amerika zu. Er unterzeichnete das neue START-Abkommen, stimmte der Durchfuhr von Kriegsmaterial nach Afghanistan zu und unterstützt die von den Vereinigten Staaten von Amerika betriebenen Sanktionen gegen den Iran. Zur Krönung seiner Charmeoffensive machte er im vergangenen Monat eine Fototournee in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er nicht nur seinen „Reset“-Freund im Weißen Haus, sondern auch Wirtschaftsführer wie den Apple-Geschäftsführer Steve Jobs im Silicon Valley traf, ganz wie sein Vorgänger Nikita Chrustschow sich vor einem halben Jahrhundert mit amerikanischen Farmern zusammen setzte.

Gleichzeitig verfolgt Russland einen weniger spektakulären Kurs, einen, der auf längere Sicht vielleicht wichtiger ist, nämlich Europa für sich einzunehmen. Diese Entwicklung begann unter Expräsident Vladimir Putin und kommt jetzt in Fahrt. Integration in Europa heißt das Spiel. Der im vergangenen Jahr präsentierte Entwurf des neuen europäischen Sicherheitsabkommens war ein ernsthaftes Angebot. Das neue EU-russische Komitee für Politik und Sicherheit, das gemeinsam von der EU-Beauftragten für Außenpolitik Catherine Ashton und dem russischen Außenminister Sergei Lavrov geleitet wird, kündigte an, dass sich die russischen Truppen bald aus Transnistrien zurückziehen könnten, wo sie seit 1991 stationiert sind, um dann durch ein europäisch-russisches Kontingent zur Friedenserhaltung ersetzt zu werden. Das Europäische Parlament verabschiedete im vergangenen Monat eine Resolution zur Abschaffung des Visumzwangs für den Reiseverkehr mit Russland. Während die Vereinigten Staaten von Amerika in Afghanistan zappeln, wird die Verständigung mit Europa zur Realität. 

Es ist wichtig, das derzeitige Werben Russlands um Amerika als Teil einer zweigleisigen Politik zu sehen: um Europa zu bewegen, mit der Verbesserung der Beziehungen fortzufahren, ist es notwendig, die reizbaren Amerikaner bei der Stange zu halten. Das wichtigste Thema ist die Ratifizierung von START, die zur Zeit in beiden Parlamenten – in Russland und in den Vereinigten Staaten von Amerika - behandelt wird. Beide, Medvedev wie Obama, haben ihre Karriere daran gebunden, dieses Abkommen ratifiziert zu bekommen. Medvedevs neulicher Trip hatte die Aufgabe, sein nicht bedrohliches jungenhaftes Auftreten zu zeigen, großzügig die hohe technische Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika zu preisen, und die Kalten Krieger im Senat zu entwaffnen, die das Abkommen zu Fall zu bringen drohen. Zu seinen Verbündeten gehört sogar Henry Kissinger, der das Abkommen lobte. Medvedev warnte, dass, wenn es nicht gleizeitig von beiden ratifiziert wird, die zwei Länder in eine Situation ähnlich wie in der sowjetischen Vergangenheit zurückfallen würden, als Russland durch die Nicht-Ratifizierung seitens der Vereinigten Staaten von Amerika „hereingelegt“ wurde.

Russlands Beitritt zu Washingtons Forderung nach neuen UNO-Sanktionen gegen Iran könnte als bedeutungslose Geste abgetan werden, wäre da nicht die darauffolgende Kündigung des Vertrags über die S-300 Raketen. Russland unterzeichnete den Vertrag im Jahr 2005, als seine Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika so schlecht wie schon lange nicht mehr waren, nach den von den Vereinigten Staaten von Amerika unterstützten Farbenrevolutionen in Kirgistan, Georgien und in der Ukraine. Russland stellte die Raketensysteme 2009 fertig, aber hat jetzt offen zugegeben, dass es den Vertrag aufgrund von Druck seitens Washingtons kündigte. Die Auflösung dieses Vertrags war ein gelungener Streich für Washington, und ein Schlag für diejenigen, die gehofft hatten, Russland werde eine unabhängige Rolle in Krisen in der Welt einnehmen. Sie ist auch eine teure Angelegenheit, die Russland bis zu $ 400 Millionen Konventionalstrafe  kostet, zuzüglich zu den $ 800 Millionen Verkaufswert, und könnte sich noch negativ auf Medvedevs Zukunft auswirken. 

Für viele kam es als Überraschung. Erst im April sagte Mikhail Dmitriev, Chef des russischen Bundesdienstes für militärisch-technische Zusammenarbeit, dass Russland plane, die Raketen zu liefern. Sogar nach der Zustimmung des UN-Sicherheitsrats zu den neuen Sanktionen am 9. Juni sagte der Sprecher des Außenministeriums Andrei Nesterenko: „Russland ist in keiner Weise durch die Resolution des UN-Sicherheitsrats gebunden hinsichtlich der Lieferung des S-300 Luftabwehrsystems an den Iran, und die Arbeit an diesem Projekt geht weiter.“ Bis zuletzt unterstützte Außenminister Sergei Lavrov den Vertrag und sagte noch am 11. Juni, eine Kündigung könne nur auf ein Dekret des Präsidenten hin erfolgen. 

Kommentatoren in den russischen Medien äußerten sich sehr kritisch. Der Berater des Verteidigungsministeriums Ruslan Pukhov sagte, dass der Iran, der jährlich Waffen im Wert von $ 500 Millionen von Russland gekauft habe, sich nun an China wenden könnte für seinen zukünftigen Bedarf an Waffen und militärischer Ausrüstung. Der Iran hat bereits Pläne ad acta gelegt, russische zivile Flugzeuge zu kaufen. „Russland verliert den gesamten Waffenmarkt im Mittleren Osten, weil es sich Amerika anbiedern will,“ sagte der Kommentator Alexei Pushkov. Viktor Ilyukhin, ein kommunistischer Abgeordneter zur Staatsduma und ehemaliger Staatsanwalt, verteidigte den Verkauf, indem er sagte: „Über Jahrhunderte seines Zusammenlebens mit anderen Nationen hinweg hat der Iran nie einen Krieg gegen einen seiner Nachbarn begonnen.“

Es war also entscheidend, dass Medvedevs Reise ins Silicon Valley zeigte, dass sein proamerikanischer Neubeginn Früchte tragen würde. Er pflegte freundschaftlichen Kontakt mit Obama und traf Wirtschaftsführer, und rief nach Investitionen aus den Vereinigten Staaten von Amerika in Russland, ziemlich ähnlich, wie es der sowjetische Führer Nikita Chrustschow vor einem halben Jahrhundert getan hatte. Wenig wusste er davon, dass das FBI Obama bereits informiert hatte, dass es dabei war, einen angeblich russischen Spionagering hochgehen zu lassen. Was für Obama eine Chance hätte sein können, sich daran zu erfreuen, wie gründlich der „Reset“-Knopf zurückgestellt war, mit freundlichen russisch-amerikanischen Mienen auf allen Seiten, erwies sich statt dessen als beschämendes Fiasko. Zehn angebliche russische Agenten, alles konsumorientierte Vorstadtbewohner, wurden angeklagt wegen geheimdienstlicher „Maulwurftätigkeit“, zwei Tage, nachdem Medvedev seine Tour beendet hatte. Dass das mit der Absicht geschah, die russisch-amerikanische Wiederannäherung zu torpedieren, zeigt allein die Tatsache, dass das FBI, das den „Spionagering“ schon ein Jahrzehnt lang beobachtet und die Operation zur größten in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika hochgejubelt hatte, nicht in einem Fall nachweisen konnte, dass eine Hochsicherheitsinformation weitergegeben wurde.   

Die Operation kann nur als „Maulwurf“-Posse interpretiert werden, dazu angelegt, die Russen ins Schleudern zu bringen, ungeachtet ihrer Nachgiebigkeit gegenüber den Forderungen der Vereinigten Staaten von Amerika auf allen Fronten. Die ganze Affäre, von Fototerminen im Silicon Valley bis zu den intriganten Ränkespielen erinnert auf unheimliche Weise an Chrustschows Vierzehntagestour durch die Vereinigten Staaten von Amerika im September 1959 und den Spionageskandal, der dieser folgte. Kalter Krieg war angesagt. Der redegewandte Chrustschow, erpicht auf Frieden und die Chance, den amerikanischen Traum nachzuahmen, besuchte Farmer, Nachtklubs, plauderte mit Marilyn Monroe auf einer Party in Hollywood, und becircte und entwaffnete seine Gegner. 

Als er aber Abrüstung forderte, verlor der Aktienmarkt blitzartig $ 1,7 Milliarden. Entspannung lag weder im Interesse von Wall Street noch des Pentagon, so dass auch niemand überrascht war, dass – ohne Wissen von Präsident Eisenhower -  ein paar Monate später U2 Spionageflüge über Russland wieder aufgenommen wurden und Gary Powers im Mai 1960 abgeschossen wurde, was dem letzten Rest von gutem Willen den Garaus machte. Eisenhower war hinters Licht geführt worden, und wütend benützte er seine Abschiedsrede, um die Menschen in Amerika zu warnen vor dem „katastrophalen Anstieg fehlgeleiteter Macht im militärisch-industriellen Komplex.“ Leider zu spät.  

Die Geschichte wiederholt sich selbst. Medvedev ringt seine Zweifler in Moskau nieder, opfert die guten Beziehungen mit dem Iran, lässt die Taliban wissen, dass Russland noch immer ihr Feind ist, lässt den Vereinigten Staaten von Amerika ihr Star Wars, wie Chrustschow China aufgab, setzte er die Revolution in der Dritten Welt auf Sparflamme und stimmte dem Verbot von Atomwaffentests zu. Das alles im Interesse des Weltfriedens und um die Lage im Heimatland zu verbessern. Nur um dann als Lachnummer vorgeführt zu werden von einem Establishment der Vereinigten Staaten von Amerika, das nicht bereit ist, auch nur einen Millimeter nachzugeben.

Als er im vergangenen Monat in Riga über den Zweck der Stationierung von 100 Patriot-Raketen 80 km von der polnisch-russischen Grenze entfernt gefragt wurde, antwortete der Generalsekretär der NATO Anders Rasmussen: „Ich würde Russland dringend raten, die Rhetorik des Kalten Kriegs zu vergessen.“ Was er wirklich meinte, war natürlich: „Stellen Sie keine Fragen, akzeptieren Sie, was immer die NATO macht und unterstützen Sie bedingungslos die Allianz in Schlüsselbereichen wie Iran und Afghanistan,“ sagt Alexei Pushkov, Direktor des Instituts für Internationale Probleme in Moskau. Putin wies darauf hin und wurde als Krypto-Kalter Krieger verdammt.

Jetzt versucht Medvedev, es höflicher zu sagen. Aber seine sanftere Art stößt auf taube Ohren. Oder wird als Zeichen von Schwäche genommen. Die derzeitige russische Außenpolitik zeigt, dass es durchaus möglich ist, in allen Bereichen Entgegenkommen zu finden. Es ist nicht nötig, Russland herunterzumachen oder zu bedrohen. Wie auch immer, die amerikanischen Falken brauchen es als einen Feind, möglichst einen schwachen, isolierten, nicht ein starkes Mitglied eines unabhängigen Europas. Das ist es, was sie fürchten und was sie weiterhin zu verhüten trachten werden.

Es scheint, dass Obama wie sein legendärer Vorgänger wirklich Gutes tun will – natürlich unter Aufrechterhaltung der Weltherrschaft der Vereinigten Staaten von Amerika. Es wurde ihm aber bei jedem Schritt ein Bein gestellt. Werden wir bald eine Neuauflage von Ike Eisenhowers Abschiedsrede hören? Und wird auch Medvedev das traurige Schicksal des unglückseligen Nikita im Kreml teilen?

 
     
  erschienen am 8. Juli 2010 in Al Ahram Weekly, am 6. Juli 2010 auf > EricWalberg.com, am 7. Juli auf GlobalResearch.ca  
     
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