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  Reden wir über einen Angriff auf den Iran

Gwynne Dyer

 

London -- Als Admiral Mike Mullen, Chef des Generalstabs des Militärs der Vereinigten Staaten von Amerika und höchstrangiger amerikanischer Offizier, vor kurzem in der NBC-Sendung „Meet the Press“ gefragt wurde, ob die Vereinigten Staaten von Amerika einen militärischen Plan für einen Angriff gegen den Iran haben, antwortete er einfach: „Ja, wir haben einen.“

Generalstäbe sind dazu da, Pläne auch für die unwahrscheinlichsten zukünftigen Entwicklungen auszuarbeiten. In den 1930er Jahren zum Beispiel erstellten und überarbeiteten die Vereinigten Staaten von Amerika Pläne für die Invasion Kanadas – und das kanadische Militär erstellte Pläne, um diese Invasion zu verhindern. Was allerdings der Planungsprozess im Fall des Iran erwiesen haben wird, ist, dass die Vereinigten Staaten von Amerika auf keinen Fall einen Nicht-Atomkrieg gewinnen können.

Die Vereinigten Staaten von Amerika könnten „gewinnen,“ indem sie hunderte Atombomben auf die iranischen Militärbasen, Nuklearanlagen und Industriezentren abwerfen und fünf bis zehn Millionen Menschen töten, darunter jedenfalls geht nichts. Das wissen wir von Richard Clarke, dem Terrorismusabwehr-Berater im Weißen Haus unter drei Regierungen.

Anfang der 1990er Jahre, so enthüllte Clarke in einem Interview mit der New York Times von vier Jahren, zog die Clinton-Administration ernsthaft eine Bombardierung des Iran in Erwägung, aber die Militärfachleute rieten ihr davon ab. 

„Nach einer langen Debatte konnten die höchsten Ränge des Militärs keine Vorhersage über eine Strategie treffen, mit der die Vereinigten Staaten von Amerika erfolgreich dieses Ziel erreichen könnten,“ sagte er. Die Planer im Pentagon haben das Szenario eines Angriffs auf den Iran in den vergangenen 15 Jahren mehrfach durchgespielt und sind immer noch zu keinem Ergebnis gekommen, wie sie einen Sieg der Vereinigten Staaten von Amerika erreichen könnten. 

Es ist nicht die Angst vor iranischen Atomwaffen, die den Generalstabschef der Vereinigten Staaten von Amerika so zögern lässt, einen Krieg gegen den Iran zu beginnen. Diese Waffen gibt es nicht, und die ganze Rechtfertigung für den Krieg bestünde darin sicherzustellen, dass es auch nie welche geben wird.

Das Problem ist, dass die Vereinigten Staaten von Amerika dem Iran nichts antun können, außer das Land mit Atombomben zu terrorisieren, was Teheran wirklich zwingen würde, sich auf die Knie zu werfen und um Gnade zu bitten. Sie können die Nuklearanlagen und Militäranlagen des Iran in Trümmer legen, aber alles, was sie zerstören, kann in ein paar Jahren wieder aufgebaut werden. Ein Einmarsch der Vereinigten Staaten von Amerika in den Iran ist auf keinen Fall realisierbar.

Im Iran leben rund 80 Millionen Menschen, und obwohl viele von ihnen die derzeitige Regierung nicht mögen, sind doch nahezu alle glühende Patrioten, die gegen eine fremde Invasion kämpfen würden. Iran ist ein gebirgiges Land, und ein großes dazu: vier Mal so groß wie Irak. Die iranische Armee zählt zur Zeit rund 450.000 Mann, ein bisschen weniger als die Armee der Vereinigten Staaten von Amerika – im Gegensatz zu dieser hat sie ihre Truppen aber nicht über Dutzende von Ländern verstreut. 

Sollte das Weiße Haus etwas größeres vorschlagen als kleinere militärische Einfälle entlang der iranischen Südküste, würden ranghöhere amerikanische Generäle unter Protest zurücktreten. Ohne die Option eines Landkrieges wäre das einzige Druckmittel der Vereinigten Staaten von Amerika auf die iranische Politik die Drohung mit mehr Bomben –wenn es sich dabei aber nicht um Atombomben handelt, wären diese nicht sehr überzeugend. Der Iran seinerseits hätte eine Reihe von Optionen, Druck auf die Vereinigten Staaten von Amerika auszuüben.

Bereits die Einstellung der Erdölexporte des Iran würde die Ölpreise auf einem engen Markt himmelhoch in die Höhe treiben: etwa 7 % des international gehandelten Erdöls kommt aus dem Iran. Der Iran könnte aber auch weitere 40 % der globalen Erdölexporte blockieren, indem er Tankschiffe aus Irak, Saudiarabien und den anderen arabischen Golfstaaten mit seinen tödlichen Noor Antischiffsraketen versenkt.

Die Noor Antischiffsrakete ist eine vor Ort produzierte Version der chinesischen YJ-82. Sie hat eine Reichweite von 200 km, ausreichend, um alle bedeutenderen Flaschenhälse im Persischen Golf zu erreichen. Sie fliegt mit zweifacher Schallgeschwindigkeit nur ein paar Meter über der Meeresoberfläche und ist mit Radar schwer zu orten. Ihre Treffsicherheit wird bis zu 98 Prozent eingeschätzt.

Die gebirgige Küste des Iran erstreckt sich über die gesamte Nordseite des Golfs, und diese Raketen werden von leicht versteckbaren mobilen Abschussrampen abgefeuert. Sie können mit Leichtigkeit Tankschiffe versenken, und in wenigen Tagen würden die Versicherungsraten für Tankschiffe, die in den Persischen Golf einfahren wollen, dermaßen unerschwinglich werden, dass dadurch die gesamten Erdölexporte der Region zum Stillstand kämen.

In der Zwischenzeit würde der Iran beginnen, den Taliban in Afghanistan moderne Boden-Luft-Raketen zu liefern, was in Kürze die militärischen Anstrengungen der Vereinigten Staaten von Amerika dort beenden würde. (Es war die Ankunft der von den Vereinigten Staaten von Amerika gelieferten Stinger-Raketen in Afghanistan, die die russischen Helikopter vom Himmel trieb und der ganzen sowjetischen Intervention letztlich das Ende bereitete.)

Iranische Raketen würden Militärbasen der Vereinigten Staaten von Amerika auf der (arabischen) Südseite des Golfs treffen, und die iranischen Alliierten der Hizbollah in Beirut würden beginnen, Raketen auf Israel abzufeuern. Die Vereinigten Staaten von Amerika hätten keine weiteren Optionen für eine weitere Eskalation als die nukleare, und der Druck auf sie, mit dem Krieg aufzuhören, würde Tag für Tag steigen, während Industrie und Verkehr auf der ganzen Welt zum Stillstand kämen.

Das Ende wäre ein beschämender Rückzug der Vereinigten Staaten von Amerika und die endgültige Festigung der Position des Iran als beherrschende Macht in der Golfregion. Das waren die Ergebnisse aller strategischen Überlegungen im Pentagon, und Mullen kennt sie.

Es gibt also einen Plan für einen Angriff auf den Iran, aber Mullen würde eher zurücktreten, als ihn in die Tat umzusetzen. Es ist alles Bluff.

 
     
  erschienen am 8. August 2010 auf > The Japan Times Online > http://search.japantimes.co.jp/cgi-bin/eo20100808gd.html  
  Archiv > Artikel von Gwynne Dyer auf antikrieg.com  
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