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  Obamas Roboterkriege gefährden uns alle

Die Drohnen haben einige Jihadisten getötet. Die Beweise legen allerdings nahe, dass sie viel mehr Jihadisten schaffen als sie töten – und eine Attacke auf mich oder Sie mit jeder Bombe wahrscheinlicher machen.

Johann Hari

Stellen Sie sich vor, dass in einer Stunde ein Flugroboter auf Ihr Haus herabschießt und es in Trümmer legt. Das Flugzeug hat keinen Piloten. Es wird per Joystick aus 11.000 km Entfernung gesteuert und vom pakistanischen Militär geschickt, um Sie zu töten. Es jagt alle Häuser in Ihrer Straße in die Luft und grillt Ihre Familien und Ihre Nachbarn, bis fürs Begräbnis nicht mehr übrig ist als ein paar verkohlte Stücke. Warum? Sie sagen es einfach nicht. Sie geben nicht einmal zu, dass die Roboterflugzeuge ihnen gehören. Sie teilen allerdings den pakistanischen Zeitungen mit, dass das notwendig war, weil einer von Ihnen einen Angriff gegen Pakistan geplant hat. Wie sie das erfahren haben? Jemand hat´s ihnen gesagt. Wer? Sie wissen es nicht, und gegen Roboter hilft keine Beschwerde.

Nun stellen Sie sich vor, dass das noch nicht alles ist: diese Attacken finden Woche für Woche irgendwo in Ihrem Land statt. Sie jagen Begräbnisse, Familienfeste und Kinder in die Luft. Die Anzahl der Flugroboter nimmt Woche für Woche zu. Sie finden heraus, dass sie „Predator“ (Raubtier) oder „Reaper“ (Sensenmann) heißen. Egal wie flehentlich Sie bitten, egal wie sehr Sie erklären, Sie seien ein friedlicher Zivilist, der sein Leben führt, es hört nicht auf. Was machen Sie? Wenn es eine Gruppe gibt, die behauptet, dass Pakistan ein böses Land ist, das es verdient, gewaltsam attackiert zu werden, würden Sie sich jetzt dafür zu interessieren beginnen?

Das klingt wie eine Drehbuchskizze für den nächsten Film von James Cameron – beschreibt aber in der Tat genau das Leben in einem großen Teil Pakistans heute, halt seitenverkehrt. Die Predators und Reapers werden geschickt von Barack Obamas CIA, mit der Unterstützung weiterer westlicher Regierungen, und haben allein im Jahr 2009 mehr als 700 Zivilpersonen getötet – 14mal so viel wie bei den 7/7-Attacken in London getötet wurden. Die Überschwemmungen wurden als Gelegenheit gesehen, die Zahl der Angriffe zu steigern, und der vergangene Monat sah die bisher größte Anzahl von Bombardierungen aus Flugrobotern: 22. Die Ausgaben für Drohnen in den nächsten zehn Jahren sollen um 700 % gesteigert werden.

Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika gibt offiziell gar nicht zu, dass das Programm existiert: Obamas eingehendster öffentlicher Kommentar dazu war eine scherzhafte Bemerkung der BoyGroup Jonas Brothers gegenüber, dass er ihnen die Drohnen auf den Hals jagen würde, wenn sie versuchten, seine Tochter anzumachen. Hinter geschlossenen Türen sagt diese Regierung allerdings, dass diese Attacken mit Drohnen „das einzige zur Verfügung stehende Mittel“ sind, um verdächtige Jihadis umzubringen. Sie setzen nicht das Leben von Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika aufs Spiel, die in Virginia sitzen und die Flugroboter steuern wie in einem Videospiel. Diese „unterminieren die Bedrohung des Westens,“ indem sie „Ausbildungslager zerstören, viele Leute töten, die sich gegen uns verschwören und den Rest in die Flucht jagen.“ 

Aber stimmt das? Die Presseaussendungen, die kritiklos von der Presse nach einer Bombenaktion übernommen werden, prahlen immer mit „höheren al Qaida-Leuten,“ die getötet wurden – aber einige Leute in der CIA geben zu, wie beliebig ihre Auswahl der Ziele ist. Einer ihrer höheren Leute sagte der Zeitung The New Yorker: „Manchmal hat man es mit Stammeschefs zu tun. Oft bezeichnen sie einen ihrer Feinde als Mitglied von al Qaida, weil sie jemanden loswerden wollen, oder sie bauen Mist, weil sie beweisen wollen, dass sie für uns wertvoll sind, damit sie weiter Geld verdienen können.“

Es stimmt, dass das Programm sicher einige Jihadisten getötet hat. Die Beweise legen allerdings nahe, dass es viel mehr Jihadisten schafft als es tötet – und eine Attacke auf mich oder Sie mit jeder Bombe wahrscheinlicher macht.

Die Drohnentechnologie wurde von den Israelis entwickelt, die sie routinemäßig nützen, um den Gazastreifen zu bombardieren. Ich war in Gaza während einigen dieser Attacken. Die Menschen dort waren in Schrecken versetzt – und radikalisiert. Eine junge Frau, die ich kenne, die früher gegen politische Gewalt und für friedlichen Protest war, sah, wie eine Drohne ein Auto voller Leute in die Luft jagte – und sie begann, den Islamischen Jihad zu unterstützen und nach der schlimmstmöglichen Rache gegen Israel zu rufen. Flugroboter haben erfolgreich einen großen Teil Gazas an den Rand des Jihad bombardiert, von der sekulären Fatah bis zur islamistischen Hamas.

Geschieht das Gleiche in Pakistan? David Kilcullen ist Experte für die Bekämpfung von Aufständischen, der für General Petraeus im Irak gearbeitet hat und jetzt das Außenministerium berät. Er hat gezeigt, dass zwei Prozent der Menschen, die in Pakistan von Flugrobotern getötet worden sind, Jihadisten sind. Die restlichen 98 % sind so unschuldig wie die Opfer des 9/11. Er sagt: „Das ist unmoralisch.“ Und schlimmer: „Jeder dieser toten Nichtkämpfer steht für eine Familie, die man sich zum Feind gemacht hat, und neu dazugekommene Kämpfer in einer militanten Bewegung, die exponentiell gewachsen ist, seit die Drohnenattacken gesteigert wurden.“  

Der Professor für Geschichte des Mittleren Ostens Juan Cole sagt es unverblümter: „Wenn man Menschen bombardiert und ihre Familie tötet, werden sie stinksauer. Sie bilden einen lebenslangen Groll ... Das hat nichts mit Raketentechnik zu tun. Wenn sie davor keine Sympathien für die Taliban und al Qaida hatten, werden sie diese haben, nachdem man sie mit Bomben fertig gemacht hat.“ Aus diesem Grund sagen alle Menschen, die aus dem Umfeld Osama bin Ladens gefangen genommen wurden oder davongelaufen sind, von seinem Leibwächter bis zu seinem Sohn, das Gleiche: er freut sich, wenn westliche Regierungen zurückschlagen, indem sie rücksichtslos Moslems töten.

Natürlich beruht der Jihadismus nicht ausschließlich auf Attacken des Westens gegen muslimische Länder. Einiges liegt auch begründet in einem theokratischen Bestreben, andere Menschen in der verkommensten Weise zu kontrollieren und zu tyrannisieren: zum Beispiel Frauen zu bestrafen, die die Sonne auf ihrem Haar fühlen wollen. Dennoch ist es eine überprüfbare Tatsache, dass Gewalt gegen Moslems viel mehr Menschen dazu bringt, Vergeltung im Rahmen eines gewalttätigen Jihad gegen uns zu suchen. Sogar der 2004 unter Donald Rumsfeld herausgegebene Bericht sagte, dass „die direkte amerikanische Intervention in der muslimischen Welt“ die hauptsächliche Ursache für den Jihadismus war.

Ein gutes Beispiel dafür ist Faisal Shazad, der 31 Jahre alte Amerikaner pakistanischer Herkunft, der im Mai versuchte, am Times Square eine Bombe zu legen. Eine Untersuchung seiner e-mails der letzten zehn Jahre durch die Polizei ergab, dass er obsessiv die Frage stellte: „Kannst du mir sagen, wie man ... zurückkämpfen kann, wenn die Raketen gegen uns abgefeuert werden und muslimisches Blut fließt?“ Die Drohnenattacken gegen Pakistan – den Teil der Erde, aus dem er stammte – gaben letztlich für ihn den Ausschlag. Als er verhaftet wurde, fragte er die Polizei: „Wie würden Sie fühlen, wenn Leute die Vereinigten Staaten von Amerika angriffen? Sie greifen ein souveränes Pakistan an.“ In seiner Verhandlung sagte er: „Wenn die Drohnen zuschlagen, sehen sie keine Kinder, sehen sie niemanden. Sie töten alle ... Ich bin ein Teil der Antwort ... Ich übe Vergeltung für den Angriff.“

Dennoch verteidigen viele Leute die Drohnen, indem sie sagen: „Wir müssen etwas tun.“ Wenn Ihre Freundin furchtbare Verbrennungen Dritten Grades erlitten hätte, würden Sie sie drängen, ihr Haar anzuzünden, weil „man etwas tun müsse“? Würden Sie einem Vergifteten ein weiteres, stärkeres Gift geben, nur weil es besser ist, etwas zu tun als nichts zu tun?

Ich verabscheue den Jihadismus. Diese Ideologie steht für alles, gegen das ich bin: ihr gesellschaftliches Ideal ist meine Hölle. Genau deswegen, weil ich sie nicht aufkommen lassen will – und nicht weil ich mich wichtig machen will – bin ich gegen diese Roboter-Schlächterei. Diese vergrößert die Bedrohung. Sie zieht uns in eine schreckliche Rückkopplungsschleife, in der die Vereinigten Staaten von Amerika mehr Drohnenattacken druchführen, um den Jihadismus zu bekämpfen, die ihrerseits den Jihadismus verschlimmern – und so weiter und so weiter, in einem Staat mit Atomwaffen, und mit vielen Menschen in Europa, die aus der terrorisierten Region stammen. Es könnte noch schlimmer kommen: Bob Woodward sagt in seinem neuen Buch Obamas Wars, dass die Vereinigten Staaten von Amerika den Plan haben, umgehend 150 Ziele in Pakistan zu bombardieren, falls es zu einer jihadistischen Attacke innerhalb Amerikas kommt.

Der wirkliche und notwendige Kampf gegen die Jihadisten muss grundsätzlich in einer Politik bestehen, die diesen die besten Rekrutierungsmöglichkeiten wegnimmt. Obama und die CIA machen genau das Gegenteil – vor einer Soundkulisse, die besteht aus den Schreien unschuldiger Zivilisten und dem tiefen, befriedigten Lachen Osama bin Ladens.   

 
     
  erschienen am 15. Oktober 2010 in The Independent > Artikel  
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