HOME     INHALT     INFO     LINKS     ARCHIV     KONTAKT
 
     
  Khadrs erzwungenes Geständnis      

Becky Akers   

Stellen Sie sich vor, Sie fahren nach der Arbeit in Ihre Hauseinfahrt und finden den Hund des Nachbarn sterbend auf Ihrem Rasen, als Opfer eines Einbrechers. Sie steigen aus Ihrem Auto, der Nachbar springt auf Sie zu und stößt Ihnen sein Gewehr ins Ohr. „Gestehe, dass du Snoopy getötet hast,“ schreit er, „oder ich drücke ab!“ Wer könnte einer derartigen Überzeugungskraft widerstehen? Klugerweise werden Sie „gestehen,“ aber kein vernünftiger Mensch wird für bare Münze nehmen, was Sie unter derartigem Druck sagen.

Es sei denn, Ihr Nachbar arbeitet für die amerikanische Regierung. Dann glaubt eine erstaunliche Anzahl von Leuten an Zauberei, und erzwungene Lügen werden zur Wahrheit.

Omar Khadr, der kanadische „Teenager-Terrorist,” bekannte sich vor kurzem schuldig in fünf Punkten der Anklage, die die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika gegen ihn erhoben hatte. Im Gegenzug werden ihn die Bundesbehörden nächstes Jahr aus ihrem berüchtigten Gulag in Guantánamo Bay, Kuba, in kanadischen Gewahrsam überstellen. Das rettet ihn vor den „Vernehmungsbeamten” in Gitmo und ihren Foltermethoden. Das sehen allerdings nur wenige Leute so, während sie aufgrund von Omars Geständnis annehmen, dass er so schlimm ist, wie die Vereinigten Staaten von Amerika behaupten. Sie verdammen ihn als einen erwiesenen Terroristen – einen „Psychopathen” und „Mörder“ – nur weil die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika unbedingt haben möchte, dass er das ist.

Was die Bundesbehörden ihm unterstellen, ist nicht schlimm für jedermann, außer für Neokonservative und Politiker. Omar ist kanadischer Staatsbürger, der mit seiner Familie in Kanada, Pakistan und Afghanistan aufgewachsen ist. Sein Vater war ein Freund und Geldgeber von Osama bin Laden, was viele Leute im Westen angesichts von Omars Bemühungen die Achseln zucken lässt – als wäre nichts abstoßendes daran, ein Kind für die Taten seiner Eltern zu bestrafen. Omar war 2002 15 Jahre alt, als ihm sein Vater erlaubte, mit einem Mitarbeiter, Abu Laith al-Libi als Dolmetscher wegzufahren.

Wie Osama selbst war auch al-Libi einmal ein Verbündeter Amerikas: er kämpfte gegen die Sowjetunion, als diese in den 1980ern nach Afghanistan einmarschierte. Später jedoch, als die Mujahidin dabei blieben, sie hätten für die Autonomie der Moslems gekämpft und nicht für amerikanische Interessen an Erdöl und Pipelines, redefinierten die Bundesbehörden sie als Terroristen. („Es sieht so aus, dass wir, nachdem wir das russische Imperium hinausgejagt haben, auch das amerikanische Imperium hinausjagen werden müssen,“ sagte Omars Vater einmal.) Ja, da heißt´s aufpassen, denn die imperialen amerikanischen „Verbündeten“ wechseln die „Terroristen” mit atemberaubender Geschwindigkeit. Ehemalige Komplizen, die unseren Herrschern ernstlich auf die Nerven gehen, könnten sich sogar mit einem Strick um den Hals wiederfinden, wie etwa unser alter Alliierter Saddam Hussein. 

Herr Khadr starb 2002, aber das hindert die Kommentatoren nicht daran, kein gutes Haar an ihm zu lassen, weil er Omar erlaubte, al-Libi zu begleiten. Würden sie wohl auch Herrn Andrew Jackson verdammen, dessen 13 Jahre alter Namensvetter sich an einer Rebellion gegen ein früheres Imperium beteiligte?

Al-Libi und Omar trafen schließlich auf einem Bauernhof in Afghanistan ein, wo sich eine Handvoll Männer versammelt hatten, die die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika als „Militante“ verhöhnt (und die von den Afghanen zweifelsohne als „Patrioten“ bezeichnet werden), gerade als Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika einen Angriff unternahmen. Diese bombardierten den Bauernhof, beschossen ihn mit Granaten, und nachdem das getan war, schossen sie auf die beiden einzigen Überlebenden. Der eine war ein Mann, der bereits im Feuergefecht verwundet worden war und entgegenkommenderweise sofort starb. Der andere war Omar.

Während des Bombardements traf ein Schrapnell Omars Augen und zerstörte das linke für immer. Laut Experten für derlei Dinge war er wahrscheinlich durch das Bombardement erschüttert, wenn nicht bewegungsunfähig unter dem Schutt. Nichtsdestotrotz behaupten die Bundesbehörden, dass er zu diesem Zeitpunkt eine Handgranate geworfen und damit einen amerikanischen Soldaten namens Christopher Speer getötet habe.

Nehmen wir an, dass Omar das Massaker unversehrt überstanden hat, eine Handgranate finden konnte und diese gegen die eindringenden Soldaten schleuderte. Wie es im Krieg so zugeht. Die ganze Geschichte hindurch haben die Regierungen sich gegenseitig zugestanden, Kämpfer, die sich auf einem Schlachtfeld verteidigen, nicht zu verfolgen. Bis jetzt. Die Bundesbehörden bleiben dabei, dass Omar Sergeant Speer ermordet hat.

Es gibt ein weiteres Problem mit dieser beispiellosen Anklage. Die Amerikaner außerhalb des Bauernhofs deckten ihre auskundschaftenden Kameraden im Haus mit Granaten ein. Es ist fast unmöglich festzustellen, wer die eine Granate warf, die Sergeant Speer tötete, und es ist völlig ausgeschlossen, das „über jeden Zweifel erhaben“ zu tun.

Inzwischen schoss auch jemand auf den geblendeten Omar. Ein Amerikaner behauptete sachlich, er habe das getan, zweimal, in den Rücken. Das Pentagon unterdrückte seine Aussage bis 2008. Da machte sie dann ein Behördenvertreter unabsichtlich öffentlich bekannt, wodurch er direkt der bis dahin kolportierten Geschichte widersprach, dass die Soldaten von vorne auf Omars Brust geschossen hätten, als er ein Gewehr herumschwenkte.

Die Behandlung des Burschen wurde nach seiner Verhaftung um nichts besser. Unsere Herrscher sperrten ihn als „feindlichen Kämpfer” in Gitmo ein. Diese durch die Verfassung keineswegs gedeckte, aber politisch bequeme Kategorie erlaubt es den Bundesbehörden, ihre Spiele mit Wörtern und Menschenleben zu treiben, indem sie abstreiten, dass Kriegsgefangene in der Tat Kriegsgefangene sind. Der Preis? Seit „feindliche Kämpfer“ keine Kriegsgefangenen sind, dürfen die Bundesbehörden internationale Abkommen ignorieren und sich mit solchen Scheußlichkeiten wie Folter beschäftigen.

Wie die anderen Gefangenen in Guantánamo wurde Omar „kurz geschlossen” mit Ketten, die ihn unbeweglich stundenlang in schmerzhaften Stellungen festhielten, wurde geschlagen, mit Vergewaltigung durch mehrere Männer bedroht, es wurde ihm der Schlaf vorenthalten und er wurde bewusst gedemütigt (die Wächter ließen ihn die Toilette nicht benützen und er musste die vollgemachte Kleidung tagelang tragen). Auch konnten die als „feindliche Kämpfer” im gesetzlosen Zustand gehaltenen Gefangenen nicht auf Befreiung hoffen: nicht nur dass die Vereinigten Staaten von Amerika Jahre lang weder Anklage erhoben noch Verfahren eingeleitet haben, diese könnten ihren chaotischen aber ach-so-profitablen Krieg gegen den Terror noch Jahrzehnte lang weiter führen. Die Hoffnungslosigkeit trieb einige der Opfer in Gitmo in den Selbstmord, obwohl dieser nach dem Koran streng verboten ist.

Zu guter Letzt gaben die Vereinigten Staaten von Amerika bekannt, dass „feindliche Kämpfer” vor „Militärtribunale” gestellt würden und nicht vor Gericht. Tribunale halten alles fest zusammen unter einem Dach: das Militär belangt den Angeklagten (der fast immer ein dämonisierter „Feind“ ist) vor Militäroffizieren mit Anklagen, die das Militär ausheckt. Kein Wunder, dass die meisten Menschen derart einseitige Verfahren als Femegerichte anprangern.

Statt sich dieser Verhöhnung der Rechtssprechung nach acht Jahren Hölle in Guantánamo zu unterwerfen – und zu riskieren, den Rest seines Lebens dort zu verbringen – akzeptierte Omar einen Urteilshandel. Diese Art von Handel ist zu einem Grundelement amerikanischer Ungerechtigkeit geworden; er schubst Verfahren durch überfüllte Gerichte in einem Land, in dem tausende Gesetze Millionen „Kriminelle“ produzieren – wobei das alles noch die Reputation von Politikern steigert („Wählen Sie wieder den Herrn G. Rimmig als Staatsanwalt! Er ist ein harter Kämpfer gegen das Verbrechen, mit 5.000 Verurteilungen allein im letzten Jahr!“). Aber Urteilshandel führt zu Korruption, Lügen und Zynismus statt Rechtssprechung. Und so „gestand“ Omar „Verbrechen,“ die er gar nicht begangen haben konnte – einschließlich eines Anklagepunktes Spionage, obwohl ihn die Amerikaner eingesperrt hatten, seit er 15 Jahre alt war – im Tausch gegen die Überstellung in ein kanadisches Gefängnis.

Die Bundesbehörden zwangen Omar zuzugeben, dass er ein Terrorist ist, ein Spion und Mörder. Und wenn auch unsere Steuergelder die unschuldige Verurteilung Omars wie auch die von tausenden anderen unterstützen, sollten unsere Überzeugungen das niemals tun.

Je mehr die Regierung darauf beharrt, dass ein Mann schuldig ist, desto mehr können Sie darauf wetten, dass er unschuldig ist.

 
     
  Erschienen am 10. November 2010 in > The New American > Artikel  
  Becky Akers, eine Expertin für die amerikanische Revolution, schreibt häufig über Themen wie Sicherheit und Datenschutz. Ihre Artikel und Kolumnen sind zu finden in Lewrockwell.com, The Freeman, Military History Magazine, American History Magazine, Christian Science Monitor, New York Post, The New American und anderen Publikationen.  
  Die Weiterverbreitung der Texte auf dieser Website ist durchaus erwünscht. In diesem Fall bitte die Angabe der Webadresse www.antikrieg.com nicht zu vergessen!  
  <<< Inhalt