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  In Ägypten herrscht noch immer Mubarakismus

Eric S. Margolis

Die Verhaftung und Einvernahme des abgesetzten Präsidenten Hosni Mubarak und seiner beiden Söhne in der vergangenen Woche hat die Ägypter zum Jubeln gebracht.

Die Streitkräfte warfen die Mubaraks den Wölfen vor, um die wachsenden Forderungen der Öffentlichkeit nach Bestrafung der ehemaligen Anführer des verhassten alten Regimes zu beschwichtigen. 

Es bleibt allerdings eine Tatsache, dass sich trotz Mubaraks Fall in Ägypten nicht viel geändert hat. Die alte Garde von Generälen und Bürokraten herrscht weiterhin in Ägypten. Hinter den Kulissen findet ein immer intensiverer Kampf zwischen dem Militär und der aufgesplitterten demokratischen Opposition statt. Das Militär hält Ägypten noch immer in eisernem Griff, ungeachtet der lautstarken Demonstrationen auf den Straßen.

Mubarak ist verschwunden, Mubarak ist aber noch immer am Leben.

Niemand weiß, was die für den September geplanten Parlamentswahlen bringen oder ob diese fair und offen sein werden. Mit Unbehagen erinnert man sich an die ersten freien Wahlen in Algerien im Jahr 1991. Die Islamisten erreichten einen Erdrutschsieg. Algeriens reaktionäres Militär hob das Wahlergebnis auf und verhaftete die demokratisch gewählten Führer. Die ägyptischen Generäle könnten das Gleiche machen.

Eine faire Wahl in Ägypten würde wahrscheinlich zu Gewinnen für Parteien führen, die islamistische politische und soziale Grundsätze befürworten. Die einflussreiche Moslem-Bruderschaft hat gerade eine neue Partei gebildet, Freiheit und Gerechtigkeit, nach dem Vorbild der erfolgreichen türkischen Islamisten-Light-Partei AK und kündigt an, dass sie 75% der Stimmen bekommen wird.

Viel von dem, was sich in diesem Herbst in Ägypten abspielen wird, wird davon abhängen, wofür Washington sich entscheiden wird. Der Einfluss der Vereinigten Staaten von Amerika auf Ägypten bleibt überwältigend. Ägyptens 468.000 Mann starke Armee steht Seite an Seite mit dem militärischen Establishment der Vereinigten Staaten von Amerika.

Vielsagend hatte es Washington während der ägyptischen Volkserhebung im Februar eilig, Verteidigungsminister Robert Gates und den höchsten Offizier des Pentagon Admiral Mike Mullen zu schicken, um die ägyptischen Kollegen Feldmarschall Hussein Tantawi und General Sami Enan zu treffen. Die Außenministerin der Vereinigten Staaten von Amerika Hillary Clinton blieb zuhause.

Das Pentagon kanalisiert einen großen Teil der jährlichen Hilfe der Vereinigten Staaten von Amerika in der Höhe von $2 Milliarden direkt an das ägyptische Militär und die führenden Generäle. Das ist ein Haufen Geld für ein so armes Land.

Das ägyptische herrschende Militärestablishment bildet ein Königreich innerhalb des Staates. Wie ihre pakistanischen Kollegen besitzen Ägyptens Generäle Touristenhotels, Wohnungen, Fabriken, Telekommunikationseinrichtungen und Pharmafabriken. Der Name Ägypten AG würde passen.

Gemäß einer WikiLeaks-Depesche der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Kairo bezeichnete das Mubarakregime Hilfszahlungen der Vereinigten Staaten von Amerika in Milliardenhöhe als „unantastbare Kompensation“ für die Aufrechterhaltung des Friedens mit Israel und die Abschottung der Palästinenser in Gaza.

Ägypten hat weiters seit 1979 von den Vereinigten Staaten von Amerika Nahrungsmittel im Wert von Milliarden bekommen, darunter 50% seines Weizenbedarfs zu subventionierten Preisen. Andere Finanzflüsse aus den Vereinigten Staaten von Amerika umfassen geheime „schwarze“ Zahlungen an hohe Funktionäre von Seiten der CIA, der Defense Intelligence Agency der Vereinigten Staaten von Amerika, des Außenministeriums, sowie günstige Handelskonditionen.

Die ägyptischen Streitkräfte sind von den Vereinigten Staaten von Amerika völlig abhängig in Bezug auf Waffen, Ersatzteile und Munition, wobei die beiden letzteren besonders knapp bemessen sind, so dass Ägypten keinen Krieg führen könnte, der länger dauert als ein paar Tage. Rüstungspartner der Vereinigten Staaten von Amerika sind mit Ägypten durch ein Netzwerk von vorteilhaften Verträgen verbunden, wie es etwa auch in der Türkei der Fall war, ehe deren AK-Partei das türkische Militär aus seiner Machtposition entfernte.

Ein großer Teil der amerikanischen Sicherheitsarchitektur für den Mittleren Osten ist darauf ausgerichtet, Israel zu nützen, wobei Ägypten die Schlüsselposition zukommt.

Während sich der Wahltermin im September nähert, strampelt Washington, um eine neue Politik gegenüber Ägypten zu definieren, die den Anschein erweckt, den demokratischen Prozess zu unterstützen und die Moslembruderschaft einzubeziehen, während die feste Kontrolle über Ägyptens Militär und Sicherheitsorgane aufrecht und das ägyptisch-israelische Friedensabkommen weiterhin erhalten bleibt – das die meisten Ägypter verabscheuen.

Eine derart differenzierte Vorgangsweise wird sehr schwierig sein. Bereits die Erwähnung von „Muslim“ oder „islamisch“ in den Vereinigten Staaten von Amerika führt reflexartig zu Angst und Ärger, etwa wie es mit „kommunistisch“ in den 1950ern der Fall war. Die Israel-Lobby warnt düster vor jeglichem Umgang der Vereinigten Staaten von Amerika mit der ägyptischen Moslembruderschaft und betont, dass diese gesetzte Organisation eine Brutstätte des potentiellen Terrorismus ist. Die Republikaner, stark beeinflusst durch Israel und Amerikas antiislamische evangelikale Christen, sind zutiefst beunruhigt aufgrund der angeblichen „Gefahren“ einer Demokratisierung Ägyptens.

Falls es zu einem wirklichen Wechsel in Ägypten kommt, dürften die ersten Anzeichen dafür die Beendigung der Belagerung Gazas und der Erdgaslieferungen nach Israel sein. Als nächstes würde es zu einer größeren Erschütterung im ägyptischen Armeekommando in Verbindung mit dem Aufstieg von jüngeren nationalistisch gesinnten Offizieren kommen, zu Forderungen nach einem Palästinenserstaat, nach dem Ende der Folter und einer scharfen Beschneidung des Einflusses der Vereinigten Staaten von Amerika in Kairo.

Eine Mehrheit der Ägypter will solche Änderungen. Was aber, wenn die verärgerten Amerikaner die Hilfe einstellen, wer wird dann Ägypten mit Nahrungsmitteln versorgen und seine Rechnungen bezahlen?

Unabhängigkeit hat einen hohen Preis.

 
     
  erschienen am 15. April 2011 auf > ericmargolis.com   
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