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  Die gezielte Ermordung von Osama bin Laden  

Marjorie Cohn

Als er verkündete, dass Osama bin Laden in Pakistan von einem Team der Navy SEALs ermordet worden ist, sagte Präsident Barack Obama: „Die Gerechtigkeit hat gesiegt.“ Herr Obama missbrauchte das Wort „Gerechtigkeit,“ als er das sagte. Er hätte sagen sollen: „Die Vergeltung ist erfolgt.“ Ein ehemaliger Professor für Verfassungsrecht sollte den Unterschied zwischen diesen beiden Konzepten kennen. Das Wort „Gerechtigkeit“ schließt ein, dass das Gesetz angewendet oder eingehalten wird.

Gezielte Ermordungen verstoßen gegen gut fundierte Prinzipien des Internationalen Rechts. Auch als politische Morde bezeichnet, handelt es sich hier um Hinrichtungen außerhalb der Rechtsordnung. Es sind gesetzwidrige und willkürliche Morde im Auftrag oder mit der Duldung einer Regierung außerhalb jeglichen rechtlichen Rahmens. 

Außergerichtliche Tötungen sind gesetzwidrig sogar in einem bewaffneten Konflikt. In einem Bericht im Jahr 1998 hielt der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für außergerichtliche, standrechtliche oder willkürliche Exekutionen fest, dass „außergerichtliche Hinrichtungen unter keinen Umständen gerechtfertigt werden können, nicht einmal in Zeiten des Krieges.“ Die UNO-Vollversammlung und der Menschenrechtsrat, sowie Amnesty International haben außergerichtliche Tötungen verurteilt.

Ungeachtet deren Gesetzwidrigkeit benutzt die Obama-Administration des öfteren gezielte Ermordungen, um ihre Ziele zu erreichen. Fünf Tage nach der Ermordung Osama bin Ladens versuchte Herr Obama, dem Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika Anwar al-Awliki „Gerechtigkeit“ widerfahren zu lassen, der in den Vereinigten Staaten von Amerika keines Verbrechens angeklagt ist. Die Drohnenattacke in Jemen verfehlte al-Awlaki und tötete zwei Menschen, „von denen angenommen wird, es habe sich um Kämpfer der al Qaeda gehandelt,“ laut einer CBS/AP Nachrichtenmeldung.

Zwei Tage vor der Attacke in Jemen töteten Drohnen der Vereinigten Staaten von Amerika 15 Menschen in Pakistan und verwundeten vier. Seit dem Drohnenangriff am 17. März, bei dem ebenfalls in Pakistan 44 Menschen getötet wurden, wurden vier Drohnenangriffe durchgeführt. 2010 führten amerikanische Drohnen 111 Angriffe durch. Die pakistanische Menschenrechtskommission sagt, dass 2010 957 Zivilisten getötet worden sind. 

Unter Präsident Gerald Ford bestritten die Vereinigten Staaten von Amerika die Durchführung von außergerichtlichen Tötungen. Nachdem der Geheimdienstausschuss des Senats 1975 enthüllte, dass die CIA in verschiedene Morde oder Mordversuche gegen ausländische Politiker verwickelt war, erließ Präsident Ford eine Regierungsverordnung, in der Morde verboten wurden. Jeder nachfolgende Präsident bis George W. Bush erneuerte diese Verordnung. Die Clinton-Administration allerdings führte einen gezielten Angriff gegen Osama bin Laden in Afghanistan, verfehlte ihn aber knapp. 

Im Juli 2001 prangerte der Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in Israel die israelische Politik der gezielten Ermordungen oder „vorbeugenden Operationen“ an. Er sagte, „die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ist eindeutig gegen gezielte Ermordungen. Das sind außergerichtliche Tötungen, und das unterstützen wir nicht.“

Allerdings lud nach dem 9/11 der ehemalige Pressesprecher des Weißen Hauses Ari Fleischer zur Ermordung Saddam Husseins ein: „Die Kosten einer Kugel, wenn die Iraker das selbst machen wollen, sind bedeutend niedriger“ als die Kosten des Krieges. Kurz danach gab Bush eine geheime Anweisung heraus, die die CIA berechtigte, gegen Terrorismusverdächtige mit Ermordung vorzugehen, wenn es unpraktisch wäre, sie zu fangen und wenn größere zivile Opfer vermieden werden konnten. 

Im November 2002 autorisierte Bush laut Berichten die CIA, einen verdächtigten Anführer der al Qaeda in Jemen umzubringen. Dieser und fünf Reisegefährten wurden bei dem Schlag getötet, den der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz beschrieb als „sehr erfolgreiche taktische Operation.“ 

Nach dem Holocaust wollte Winston Churchill die Naziführer ohne Verfahren hinrichten. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika jedoch war gegen die außergerichtlichen Hinrichtungen der Nazifunktionäre, die einen Völkermord an Millionen Menschen begangen hatten. Der Richter des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten von Amerika Robert H. Jackson, der als Chefankläger beim Nürnberger Kriegsverbrechertribunal fungierte, sagte zu Präsident Harry Truman: „Wir könnten die Naziführer ohne Anhörung hinrichten oder anders bestrafen. Aber unterschiedslose Hinrichtungen oder Bestrafungen ohne eindeutige Feststellung der Schuld, die man mit fairen Mitteln erreicht hat, würden sich nicht leicht mit dem amerikanischen Gewissen vertragen ... die Kinder werden mit Stolz daran denken. 

Osama bin Laden und die durch die Drohnenattacken angegriffenen „Terrorverdächtigen“ hätten festgenommen und vor Gericht in den Vereinigten Staaten von Amerika oder vor ein internationales Tribunal gestellt werden sollen. Obama kann nicht zugleich Richter, Geschworene und Henker sein. Diese Ermordungen sind nicht nur illegal, sie schaffen einen gefährlichen Präzedenzfall, der benützt werden könnte, die gezielten Tötungen von Anführern der Vereinigten Staaten von Amerika zu rechtfertigen. 

 
     
  erschienen am 10. Mai 2011 auf > Marjorie Cohns Website und > CommonDreams.org > Artikel  
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