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  Unsere blutigen Hände im Mittleren Osten

Justin Raimondo 

Die Bühne steht bereit, die Schauspieler sind aufgestellt und das Orchester stimmt das Vorspiel an: was noch fehlt ist der Vorhang, der sich öffnet für den ersten Akt von „Weltkrieg III im Mittleren Osten.“

Die Bühne: eine Straße irgendwo in Syrien, wo mysteriöse bewaffnete Banden sich frei bewegen, Zivilisten attackieren, schiitische Pilger entführen und mit Selbstmordbombern gegen militärische und zivile Ziele losgehen. Syrische Soldaten – nervös, schlecht ausgebildet und schlecht ausgerüstet mit Waffen und Ersatzteilen – greifen ganze Städte an mit hohen Opferzahlen auf beiden Seiten. 

Die Schauspieler: der starke Mann Syriens Bashar al-Assad, der 47 Jahre alte in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgebildete ehemalige Augenarzt, der vielleicht gar nicht so stark ist. Hinter ihm: der Parteiapparat der Ba´ath-Partei und die Hierarchie des Militärs, beide dominiert von der Minderheitssekte der Alawiten, einer eigenartigen regionalen Variante des Islam, die von den meisten Moslems als häretisch abgelehnt wird. Assad ist der Schurke in diesem Stück – ein seltsames Schicksal für einen Mann, von dem viele geglaubt haben, er würde sich als Reformer erweisen. 

Dieses ist ein Drama ohne Helden, aus dem einfachen Grund, dass kein einzelner Anführer aus der Opposition herausgewachsen ist – diese ist aufgesplittert in konkurrierende Fraktionen mit unterschiedlichen Programmen und sich widersprechenden Idologien. Da gibt es die Gruppe, die die größte Aufmerksamkeit bekommen hat, den Syrischen Nationalrat (SNC), dominiert von der Moslembruderschaft. Die meisten ihrer Aktivisten befinden sich im Exil und es heißt, dass der SNC sehr geringen Einfluss im Land hat. Auf der anderen Seite ist das Nationale Koordinationskomitee für demokratischen Wechsel (NCC), bestehend aus linken und arabisch nationalistischen Parteien, alle in Syrien verboten, die es aber geschafft haben, im Geheimen weiter zu existieren.

Die großen Themen, die die Opposition spalten sind 1) die Aussicht auf einen Dialog mit der Regierung Assads und 2) die Aussicht auf eine Intervention von außen, durch die NATO oder eine andere Agentur. Die rund um den SNC organisierten Islamisten verweigern alle Verhandlungen außer über den Rücktritt Assads, während das weitgehend säkulare und minderheitenorientierte NCC auf Verhandlungen besteht. Was die Intervention von außen betrifft, ist der SNC dafür, das NCC dagegen – obwohl sie die Vermittlung durch die Arabische Liga befürworten.

Ein dritter Faktor – der Joker – ist die so genannte „Freie Syrische Armee,“ die angeblich besteht aus Überläufern aus der regulären Armee und den Sicherheitskräften. Es besteht allerdings einiger Zweifel darüber, wieviele Überläufer sich in ihren Reihen befinden; es sind dort wahrscheinlich viel mehr Islamisten als andere. Sie operieren von einem Stützpunkt in der Türkei aus, der hilfreicherweise von der Regierung in Ankara zur Verfügung gestellt worden ist: Wer genau jedenfalls die Führung der FSA innehat, ist nicht klar. Die Gruppe wurde gegründet von Oberst Riad Assad, aber ein neuer Überläufer, General Mostafa Ahmed al-Sheikh, hat laut Berichten seinen Rang gegenüber dem Oberst ins Spiel gebracht und sich zum befehlshabenden Kommandanten erklärt. Assad bestreitet das, aber die Türken halten anscheinend zum General: sie haben die Schließung von Assads Bankkonto angeordnet.

Jedenfalls hat es den Anschein, dass Qatar und Saudiarabien die FSA mit Waffen beliefern, und was als Protestbewegung begonnen hat, ist jetzt eine militärische Auseinandersetzung, in der die besser bewaffnete und besser ausgebildete Streitmacht den Sieg erringen wird. Das heißt, dass Bashar al-Assad noch weit entfernt ist von einer Niederlage, ungeachtet der Deklaration seines „unweigerlichen“ Endes seitens Washingtons. Militärisch kann es die Opposition mit der syrischen Armee nicht aufnehmen, die keinerlei Anzeichen zeigt, sich gegen Assad und die Regierung zu wenden: das Offizierskorps besteht fast ausschließlich aus Alawiten, der Gruppe, die am meisten zu verlieren hat, wenn die Ba´athisten stürzen. Die Opposition ihrerseits ist zersplittert und zerstritten. 

Dennoch ist klar, dass die Mächte des Westens beschlossen haben, eine Politik des Regimewechsels zu verfolgen, ganz egal, welche Folgen das für die Menschen in Syrien haben wird. Der gleichzeitige Rückzug der Botschaften der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs und die Einstellung der diplomatischen Beziehungen mit den Ländern der Arabischen Liga bedeutet die Räumung des Feldes für den kommenden Angriff – der der blutigste und bösartigste bisher sein wird. Was zu der Frage führt: warum jetzt? Immerhin war Syrien schon seit der Ära Bush Mitglied der berüchtigten „Achse des Bösen“ und die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich Assad gegenüber offen feindselig verhalten trotz der Zusammenarbeit der Geheimdienste in Washington und Damaskus in der Zeit nach 9/11.

Der Grund heißt, in einem Wort, Iran. Denken Sie daran, dass das jetzt erst der erste Akt der Tragödie ist, die in der Region gespielt werden wird: den Höhepunkt des letzten Akts werden „Schock und Einschüchterung“ am Himmel über Teheran bilden. Zuerst müssen jedenfalls ein paar Dinge aus dem Weg geräumt und ein klarer casus belli inszeniert werden. Ein Bürgerkrieg in Syrien wird die sunnitischen Islamisten gegen die syrischen nationalen Minderheiten losgehen lassen: nicht nur Alawiten, sondern auch Drusen, Christen und Assyrer. Die Kurden werden sicher bei den Rebellen mitmachen, aber sie werden ihre eigene Organisation haben – und ihre eigene Agenda.

Die Schlüsselfrage ist, ob das die Iraner hineinziehen – und zur Ausweitung des Konflikts führen wird. Syrien könnte zum Schlachtfeld werden in einem größeren Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten, ein Ergebnis, mit dem die Regimewechsler in Washington, London und Paris rechnen. Die Idee ist, die sunnitischen Länder gegen den persisch-schiitischen „Imperialismus“ zu vereinen – mit Israel im Hintergrund und bereit, die Stücke aufzusammeln.

Wir im Westen wurden überschwemmt mit einer pro-Rebellen-Propaganda, bestehend aus Geschichten über Massenmorde, die das syrische Militär verübt hat. Dennoch kommt es oft vor, dass die anfänglich behaupteten Opferzahlen „nach unten korrigiert“ werden, wie etwa im Fall der angeblichen Beschießung des Ortsteils Khaldiyeh des belagerten Homs, wo aus „hunderten“ letztlich „Dutzende“ von Toten und Verletzten wurden. Erinnern Sie sich an die „Incubator-Babies,“ welche angeblich von Saddam Husseins Soldaten aufgespießt wurden, als diese in Kuwait einmarschierten? Es sieht so aus, als hätten sie dieses Stück Kriegspropaganda wieder aufbereitet und auf Syrien zugeschnitten. Die meisten Berichte, die wir über von Regierungstruppen begangene Gräueltaten bekommen, stammen von den Rebellen, und es wird von den Medien des Westens kaum der Versuch unternommen, die Kriegspropaganda und tatsächliche Begebenheiten auseinanderzuhalten – was sonst ist also neu?

Während es in der Rechten und in der Linken ein paar Stimmen gibt, die nach einer Intervention des Westens rufen, erscheinen die Aussichten für eine solche trübe, zumindest was die nächste Zukunft betrifft. Es besteht allerdings kein Zweifel, dass die Mächte des Westens und ihre regionalen Kasperlfiguren die diversen Milizen finanzieren und bewaffnen, welche die „Opposition“ zu sein behaupten, allen voran radikale Islamisten. Diese Kampagne kann dazu führen, dass die Regierung Assad in einem ständigen Zustand der Krise gehalten wird und das Land dabei vor die Hunde geht. Die wirkliche Gefahr – oder Gelegenheit, je nach Standpunkt – kommt mit der Möglichkeit, dass der Iran sich in den Kampf hineinziehen lässt.

Wenn Teheran in das Spiel des Stellvertreterkriegs gelockt werden kann, steigt die Aussicht, dass sich das zu einem regionalen Konflikt entwickelt, bedeutend. Wenn sie dieser Falle ausweichen, riskieren die Iraner, ihren einzigen verlässlichen Verbündeten in der Region zu verlieren. Hezbollah und die verschiedenen Palästinenserfraktionen – bisher irgendwie verständnisvoll für Assads Notlage – distanzieren sich jetzt von dem Regime. Wie sich schon oft genug erwiesen hat, kann weder mit Russland noch mit China gerechnet werden, dass diese den UN-Sicherheitsrat und die Mächte des Westens unbegrenzt zurückhalten: Syrien und der Iran stehen vor einer totalen Einkreisung und zunehmender wirtschaftlicher und politischer Isolation.

Eines nach der anderen werden die muslimischen Länder des Mittleren Ostens ins Visier genommen und zu Fall gebracht: mit dem Iran wird das jedoch nicht so leicht gehen wir mit den anderen. Auch Syrien wird kein „Kinderspiel,“ als das die Neokonservativen den Krieg gegen den Irak im Vorhinein bezeichneten. Und da ist noch ein weiterer Faktor zu bedenken: ehe die Regimewechsler ihre Mission vervollständigen können, müssen sie die Amerikaner auf den kommenden Krieg vorbereiten. Eine ständige Kriegspropaganda, aufgemacht mit fadenscheinigen Gräuelgeschichten und diversen Verschwörungstheorien betreffend die Absichten der Iraner wird wahrscheinlich reichen, zumal wir in ein Wahljahr gehen – und Präsident Obama unter zunehmenden Druck seitens der Israel-Lobby gerät. 

Indem sie die „sunnitische Karte” spielen, entfesseln diese Administration und ihre Alliierten einen bösartigen Killer in der Region: einen Bürgerkrieg in der Welt der Moslems, in dem die Sunniten gegen alle anderen losgehen. Bürgerkriege, besonders religiös motivierte, haben einen besonders hässlichen Charakter, und dieser verspricht, die gesamte Region in Blut zu tauchen. Ehe wir diesen Weg noch weiter hinunter gehen, müssen sich die verantwortlichen amerikanischen Politiker selbst fragen, ob es das ist, was sie wirklich wollen – und ob sie bereit sind, das Urteil der Geschichte zu akzeptieren.

 
     
  erschienen am 8. Februar 2012 auf > www.antiwar.com > Artikel  
  Archiv > Artikel von Justin Raimondo auf antikrieg.com  
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