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  Der Kolonialismus hat nie aufgehört, er geht weiter mit anderen Mitteln

George Monbiot

Es wird gesagt, dass die Verurteilung des früheren Präsidenten von Liberia Charles Taylor eine unmissverständliche Botschaft an die derzeitigen Führer gesendet hat: ein hohes Amt verleiht keine Immunität. Eigentlich wurden zwei Botschaften gesendet: wenn ihr ein kleines, schwaches Land führt, könnt ihr mit der vollen Gewalt des Internationalen Rechts rechnen. Wenn ihr ein mächtiges Land führt, habt ihr nichts zu befürchten.  

Während jeder, der an Menschenrechten interessiert ist, das Urteil begrüßen sollte, erinnert es uns daran, dass niemand zur Verantwortung gezogen worden ist für die Entfesselung des illegalen Krieges gegen den Irak. Dieser entspricht der Definition des „Verbrechens des Angriffskriegs“ durch das Nürnberger Tribunal, das diesen als „das größte internationale Verbrechen“ bezeichnet hat. Die Beschuldigungen, aufgrund derer in einem unparteilichen System gegen George Bush, Tony Blair und deren Spießgesellen ermittelt hätte werden sollen, sind weit schwerwiegender als diejenigen, für die Taylor schuldig gesprochen wurde. 

Außenminister William Hague behauptet, dass Taylors Verurteilung „beweist, dass diejenigen, die die schwersten Verbrechen begangen haben, für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden können und auch werden.“ Der Internationale Strafgerichtshof hat jedoch, obwohl er vor zehn Jahren eingerichtet wurde und obwohl das Verbrechen des Angriffskrieges im Internationalen Recht seit 1945 verankert ist, noch immer keine Zuständigkeit für „das größte Verbrechen.“ Das liegt daran, dass die mächtigen Staaten aus offenkundigen Gründen das Problem vor sich herschieben. Weder das Vereinigte Königreich noch die Vereinigten Staaten von Amerika und andere Länder des Westens haben das Verbrechen des Angriffskrieges in ihr eigenes Recht übernommen. Das Internationale Recht bleibt ein imperiales Projekt, in dem nur die Verbrechen bestraft werden, die von Vasallenstaaten begangen werden. 

In dieser Beziehung entspricht es anderen weltweiten Machtstrukturen. Ungeachtet seiner herumposaunten Reformen bleibt der Internationale Währungsfonds IWF unter der Kontrolle der Vereinigten Staaten von Amerika und der ehemaligen Kolonialmächte. Alle grundlegenden Entscheidungen bedürfen einer Mehrheit von 85% der abgegebenen Stimmen. Aufgrund eines unerklärlichen Versehens halten die Vereinigten Staaten von Amerika 16,7%, wodurch sichergestellt ist, dass sie ein Veto gegen nachträgliche Reformen besitzen. Belgien hält noch immer achtmal so viele Stimmen wie Bangladesh, Italien einen größeren Anteil als Indien, und das Vereinigte Königreich und Frankreich halten gemeinsam mehr Stimmanteile als die 49 afrikanischen Mitgliedsländer. Wie es die imperiale Tradition verlangt, wird die Stelle des Geschäftsführenden Direktors von einer Europäerin, die des Stellvertreters von einer Amerikanerin besetzt.

Das Ergebnis ist, dass der IWF noch immer das Vehikel ist, mit dem die Finanzmärkte des Westens ihre Macht in den Rest der Welt vorantreiben. Ende letzten Jahres zum Beispiel veröffentlichte dieser ein Papier, in dem er von aufstrebenden Wirtschaften verlangte, ihre „Finanzielle Tiefe“ zu vergrößern, welche er definiert als „die Gesamtheit von finanziellen Forderungen und Gegenforderungen einer Wirtschaft“. Das, wird behauptet, würde sie vor Krisen absichern.

Wie das Bretton Woods-Projekt ausführt, waren aufstrebende Länder mit großen realen Wirtschaften und kleinen Finanzsektoren diejenigen Länder, die die wirtschaftliche Krise am besten bewältigten, welche verursacht worden war von fortgeschrittenen Wirtschaften mit großen Finanzsektoren. Wie der moderne Opiumkrieg, den er in den 1980ern und 1990ern führte – als er die asiatischen Länder zwang, ihre Währungen freizugeben, was westlichen Spekulanten die Möglichkeit eröffnete, sie zu attackieren – sind die Rezepte des IWF unbegreiflich, bis sie als Instrumente der finanziellen Macht verstanden werden.

Entkolonialisierung fand nicht statt, bis die alten Kolonialmächte und Kapitalimperien, in deren Interesse diese handelten, andere Mechanismen geschaffen hatten, um die Kontrolle beizubehalten. Einige, wie der IWF und die Weltbank, blieben nahezu unverändert. Andere, wie das Programm der außerordentlichen Auslieferung entwickelten sich als Reaktionen auf neue Anforderungen an die globale Vorherrschaft.

Wie die Entführung von Abdul Hakim Belhaj und seiner Frau zeigt, sehen sich die Auslands- und Geheimdienste des Vereinigten Königreichs selbst als globale Polizeimacht, die sich um die Angelegenheiten anderer Staaten kümmert. Im Jahr 2004, nachdem Tony Blair, mit einem Auge in Richtung möglicher neuer Verträge für britische Erdölgesellschaften schielend, entschieden hatte, dass Gaddafi ein nützlicher Aktivposten ist, wurde das Bündnis besiegelt mit Ergreifung, Verpackung und Zustellung von Dissidenten des Regimes. 

Wie die Kolonialverbrechen, die die britische Regierung in Kenia und anderswo begangen hat, deren Vertuschung vom Außenamt betrieben worden ist, bis dessen geheime Archive im vergangenen Monat geöffnet werden mussten, wurde das Auslieferungsprogramm vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Nicht anders als der Kolonialminister Alan Lennox-Boyd, der das Parlament wiederholt in Sachen Anhaltung und Folterung der Kikuyu belogen hat, erklärte 2005 der damalige Außenminister Jack Straw vor dem Parlament, dass „die Behauptungen, dass das Vereinigte Königreich in Auslieferungen verwickelt war, einfach nicht stimmen.“ 

Als ich die emails las, die zwischen den Büros von James Murdoch und Jeremy Hunt ausgetauscht wurden, fiel mir auf, dass wir es auch hier mit einer Regierung zu tun haben, die sich selbst als Agent des Imperiums – Murdochs in diesem Fall – betrachtet und die Wähler als Beiwerk ansieht. Indem sie gegen das Interesse der Allgemeinheit für den Medienkonzern, den Finanzsektor und die milliardenschweren Spender an die Konservative Partei arbeiten, agieren ihre Minister als Distriktkommissare des Kapitals und beherrschen Britannien, wie ihre Vorgänger die Kolonien beherrscht haben. 

Die Neuaufteilung von Macht, Erdöl und Einflusssphären, die Bush und Blair in Mesopotamien begannen, indem sie sich des traditionellen Deckmantels der zivilisierenden Mission bedienten; der Kolonialkrieg, der noch immer gegen Afghanistan geführt wird, 199 Jahre nach Beginn des Großen Spiels; die weltweiten Polizeifunktionen, die die großen Mächte sich angemaßt haben; die einseitige Rechtssprechung mit dem internationalen Recht: das alles weist darauf hin, dass der Imperialismus nie geendet hat, sondern nur in neue Formen mutiert ist. Das eigentliche Imperium kennt keine Grenzen. Bis wir beginnen, das zu erkennen und ihm entgegenzutreten, werden wir alle, Schwarze wie Weiße, seine Untertanen bleiben. 

     
  erschienen am 1. Mai 2012 auf > Other Words und > The Guardian > Artikel > George Monbiots Website  
 
siehe dazu im Archiv:
  Paul Craig Roberts - Der neue Kolonialismus
  Brendan O'Neill - Kein Krieg ist so schlimm, als dass er nicht durch die Intervention des ICC noch verschlimmert werden könnte
  George Szamuely - US-Scheinheiligkeit und Marionettentribunale
 
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