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  Mark Twain  
  Briefe von der Erde  
     
 

Satans sechster Brief


Am dritten Tag fand man etwa um die Mittagszeit heraus, dass man eine Fliege zurückgelassen hatte. Die Rückfahrt erwies sich ohne Karte und Kompass als lang und schwierig, auch wegen der veränderten Küstenlinien, da das ständig steigende Wasser einige der niedriger gelegenen Anhaltspunkte überflutet hatte und die höher gelegenen anders wirkten, aber nach 16 Tagen hartnäckiger und hingebungsvoller Suche wurde die Fliege schließlich gefunden und mit Lobes- und Dankeshymnen an Bord begrüßt, während die Familie aus Achtung für ihre göttliche Herkunft ungeschützt da stand. Sie war müde und ausgelaugt und hatte etwas unter dem Wetter gelitten, war aber sonst in guter Verfassung.

Männer und ihre Familien waren auf Bergspitzen verhungert, aber ihr mangelte es nicht an Futter, da die zahlreichen Kadaver sie mit einem verrottenden und stinkenden Überfluss versorgte. So wurde der göttliche Vogel durch die Vorsehung bewahrt.

Vorsehung. Das ist es. Denn die Fliege wurde nicht zufällig zurückgelassen. Nein, es war die Vorsehung die dabei mitmischte. Es gibt keine Zufälle. Alles was passiert hat seinen Zweck. Es ist von Anbeginn der Zeiten so vorgesehen und so gewollt. Am Beginn der Schöpfung sah der Herr, dass Noah verwirrt und alarmiert durch die Invasion der fossilen Ungeheuer früh in See stechen würde, ohne eine bestimmte unschätzbare Krankheit mitzunehmen. Er würde alle anderen Krankheiten mit sich führen und sie unter den weltweit wieder auflebenden neuen Rassen verteilen, aber er würde eine der besten nicht zur Verfügung haben – fiebriger Typhus; ein Gebrechen, dass, wenn die Umstände besonders günstig sind, in der Lage ist, einen Patienten vollkommen zugrunde zu richten, ohne ihn zu töten; denn dies kann ihn für sehr lange am Leben lassen, aber er ist dann taub, stumm, blind, verkrüppelt und geistig umnachtet. Die Hausfliege ist der Hauptüberträger und dabei fähiger und unheilbringender als alle anderen zusammen. Und so wurde durch Vorherbestimmung am Beginn aller Zeiten diese Fliege zurückgelassen einen vom Typhus befallenen Kadaver zu suchen und sich davon zu ernähren und ihre Beine mit den Keimen zu beladen und es ist ihre Lebensaufgabe sie auf die wieder bevölkerte Welt zu übertragen. Durch diese eine Hausfliege wurden in den seither verstrichenen Zeitaltern Milliarden Krankheitsfälle verursacht, Milliarden zerstörter Körper torkelten über das Angesicht der Erde und Milliarden Friedhöfe füllten sich mit Toten.

Es ist äußerst schwer die Absichten des Bibel-Gottes zu verstehen, er ist so ein Durcheinander an Widersprüchen, an weichlichem Wankelmut und eisenharter Unnachgiebigkeit, an kindlich guter Moral im Wort und tatsächlicher höllischer in der Tat, von überfließender Freundlichkeit geäußert durch dauernde Bösartigkeit.

Wenn man aber nach langem sich Wundern den Schlüssel zum Verständnis seines Charakters findet wird einem zum Schluss alles klar: Mit drolliger, jugendlich leichtsinniger Offenheit hat er diesen Schlüssel selbst preisgegeben: Es ist Eifersucht.

Ich denke, das raubt euch den Atem. Euch dürfte klar sein – denn ich habe es euch in einem früheren Brief schon erzählt - , dass unter den Menschen Eifersucht ganz klar als Schwäche angesehen wird; als ein Kennzeichen von Kleingeistern, als eine Eigenschaft aller Kleingeister, aber dennoch eine Eigenschaft, deren sich auch deren Kleinster schämt und die er lügnerisch ableugnen und den Beleidigten spielen wird, wenn man ihn dessen beschuldigt.

Eifersucht. Vergesst es nicht, merkt es euch gut. Das ist der Schlüssel. Damit werdet ihr Gott teilweise verstehen lernen, während wir fortfahren, ohne diesen Schlüssel kann ihn niemand verstehen. Wie ich sagte, er selbst diesen verräterischen Schlüssel hoch gehalten, so dass ihn jeder sehen kann. Er sagt, naiv, direkt und ohne das geringste Zeichen von Scham:

“Ich, der Herr dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott.“

Wie man sieht ist das nur eine andere Art zu sagen:

“Ich, der Herr dein Gott, bin eine kleiner Gott; ein kleiner Gott, der viel Aufhebens um kleine Dinge macht.“

Er gab eine Warnung aus: Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ein anderer Gott einige der sonntäglichen Ehrenbezeugung dieser albernen kleinen menschlichen Geschöpfe erhalten sollte – er wollte alle für sich selbst. Er schätzte sie. Für ihn waren es Reichtümer, so wie Zinngeld für einen Zulu.

Moment – Ich bin nicht fair; ich stelle ihn falsch dar; Vorurteile verleiten mich Unwahrheiten zu sagen. Er sagte nicht, er wolle alle Schmeicheleien, er sagte nicht, dass er nicht bereit wäre sie mit seinen Mitgöttern zu teilen; was er sagte war:

“Ihr sollte keine anderen Götter über mir haben.“

Das ist eine ganz andere Aussage und lässt ihn – wie ich zugeben muss - in viel besserem Licht erscheinen. Es gab ein Menge Götter, die Wälder waren voll von Ihnen, wie man so sagt, und alles was er verlangte, war so hoch wie die anderen eingestuft zu werden – nicht über ihnen, aber auch nicht unter ihnen. Er hatte nichts dagegen, dass sie irdische Jungfrauen besamen sollten, aber nicht zu besseren Konditionen, als er sie auch für sich haben konnte. Er wollte Ihnen gleichberechtigt sein. Darauf bestand er ganz klar und ausdrücklich: er wollte keinen anderen Gott über sich dulden. Sie könnten Seite an Seite mit ihm marschieren, aber niemand sollte die Prozession anführen und auch er beanspruchte nicht das Recht sie anzuführen.

Meint ihr, er wäre in der Lage gewesen diese geradlinige und glaubwürdige Einstellung beizubehalten? Nein. An eine schlechte Abmachung hätte er sich ewig gehalten, an eine gute keinen Monat lang. Nach und nach wich er davon ab und behauptete ruhig, der einzige Gott im ganzen Universum zu sein.

Wie ich sagte ist Eifersucht der Schlüssel; durch seine ganze Geschichte hindurch ist sie gegenwärtig und hervorstechend. Sie ist von Kopf bis Fuß seiner Haltung, sie ist die Grundlage seines Charakters. Der kleinste Vorfall kann ihn aus der Fassung bringen und seine Urteilsfähigkeit beeinträchtigen, wenn er an seine Eifersucht rührt! Und nichts bringt diesen Charakterzug so schnell, sicher und überschießend zum Kochen, wie der Verdacht dass eine Konkurrenz im Gottes-Vertrauen aufkommen könnte. Die Angst, dass Adam und Eva, wenn sie vom Baum der Erkenntnis äßen “wie die Götter wären“ heizte seine Eifersucht so an, dass sein Verstand beeinträchtigt wurde und er die armen Geschöpfe weder gerecht noch großzügig behandeln konnte, oder auch nur davon Abstand nehmen konnte, sie angesichts ihrer unbescholtenen Vergangenheit grausam und verbrecherisch zu behandeln.

Bis heute hat sich sein Verstand davon nicht erholt; Albträume voller Rachegelüste suchen ihn seitdem heim und er hat seine eigene Raffinesse fast überstrapaziert im Erfinden von Schmerzen und Qualen, Erniedrigungen und Herzeleid um damit den Abkömmlingen Adams ihr kurzes Leben zu versalzen. Denkt nur an die Krankheiten, die er ersonnen hat! Es gibt eine Vielzahl von Ihnen, kein Buch kann sie alle aufzählen. Und jede ist eine Falle, aufgestellt für eine unschuldiges Opfer.

Der Mensch ist eine Maschine. Eine automatische Maschine. Er besteht aus tausenden komplexer und fein abgestimmter Mechanismen, die harmonisch und perfekt funktionieren, nach Gesetzen, die auf sie abgestimmt wurden und auf die der Mensch keinen Einfluss hat, keine Herrschaft, keine Kontrolle. Für jeden dieser Tausend Mechanismen hat der Schöpfer einen Feind erdacht, dessen Aufgabe es ist, ihn zu belästigen, zu nerven, zu verfolgen, zu beschädigen, mit Schmerzen zu schlagen, mit Leid und schließlich mit Zerstörung. Keiner wurde übersehen.

Von der Wiege bis zur Bahre sind diese Feinde ständig am Werk, sie geben keine Ruhe, weder in der Nacht noch am Tag. Sie sind eine Arme, eine organisierte Armee, eine belagernde Armee, eine angreifende Armee, eine Armee, die auf der Hut ist, wachsam, eifrig, gnadenlos, eine Armee, die nie nachgibt, die keine Waffenruhe kennt.

Sie marschiert in Kommandos, Kompanien, Bataillonen, Regimentern, Brigaden, Divisionen, Abteilungen; mitunter zieht sie ihre Kräfte zusammen und attackiert die Menschheit mit ihrer ganzen Macht. Es ist die Große Armee des Schöpfers und er ist ihr oberster Befehlshaber. An ihrer Front wehen ihre grausigen Flaggen im Angesicht der Sonne. Ihre Aufschrift: Verderben, Krankheit und der ganze Rest.

Krankheit! Das ist die Hauptstreitmacht, die emsig-gewissenhafte Kraft, die vernichtende Kraft. Sie greift das Kind vom Zeitpunkt der Geburt an an; versorgt es mit Gebrechen um Gebrechen: Kruppe, Masern, Mumps, Verdauungsprobleme, Zahnschmerzen, Scharlach und andere Spezialitäten für das Kindesalter. Sie jagt einen von der Kindheit zum Erwachsensein, ins Alter und bis ins Grab.

Wollt ihr versuchen anhand der nunmehr dargelegten Fakten den am meisten verwendeten Kosenamen zu erraten, den die Menschen dem wilden Oberbefehlshaber geben. Ich will es euch ersparen, - aber lacht nicht. Es ist Unser Vater im Himmel!

Es ist absonderlich, wie der menschliche Verstand arbeitet. Ein Christ verwenden als Grundlage die direkte, definitive, unabänderliche und kompromisslose Aussage: Gott ist allwissend und allmächtig.

Geht man davon aus, kann nichts passieren, ohne dass er schon im Voraus weiß, dass es passieren wird; nichts passiert ohne seine Zustimmung; nichts kann passieren, was er verhindern will.

Das ist klar genug, nicht wahr? Damit ist der Schöpfer gewiss verantwortlich für alles was passiert, oder etwa nicht?

Ein Christ gesteht es in dem kursiv gedruckten Satz zu. Er gibt es mit tiefer Empfindung und Enthusiasmus zu.

Nachdem er so den Schöpfer für verantwortlich erklärt hat für alle Schmerzen, alle Krankheiten, alles Elend, das oben aufgeführt ist und das er hätte verhindern können, nennt ihn der so beschenkte Christ sanft Unseren Vater.

Es ist, wie ich es sage. Er stattet den Schöpfer mit jedem Charakterzug aus, den ein Unhold hat und kommt zu dem Schluss, dass ein Unhold und ein Vater dasselbe sind! Trotzdem würde er abstreiten, dass ein bösartiger Irrer und ein Sonntagsschulrektor im Wesentlichen dasselbe sind. Was meint ihr zum menschlichen Verstand? Ich meine für den Fall, dass ihr meint, die Menschen hätten so etwas wie Verstand.


 
     
     
 
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