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  Die zwei Arten der Piraterie in Somalia: warum ignoriert die Welt die eine?

Mohamed Abshir Waldo, Journalist/Consultant

Zur Zeit stehen die Schiffsrouten in den somalischen Gewässern im Zentrum des Weltinteresses. Kriegsschiffe großer und kleiner Mächte versammeln sich in den somalischen Gewässern im Golf von Aden und im Indischen Ozean. Die vor kurzem erfolgte Kaperung des saudischen Öltankers und des ukrainischen Schiffs MV FAINA, beladen mit Waffen für Kenia, vor der Küste Somalias durch somalische Piraten erregte die Aufmerksamkeit der Medien. Folgerichtig wurde der Krieg gegen diese offensichtlich neue Piraterie ausgerufen. Die bereits lange bestehende und Mutter aller Piraterien in Somalia hingegen – die illegale Fischerei durch Ausländer – in den somalischen Gewässern wird ignoriert. Das weist hin auf das falsche und einseitige Verständnis der internationalen Gemeinschaft bezüglich der komplizierten Lage, sowie auf die Unmöglichkeit, mit den vorgeschlagenen Methoden Wege zur effektiven Lösung der Bedrohung durch die Piraterie zu finden.  

Ein Chor von Rufen nach härteren internationalen Maßnahmen führte zu einem multinationalen und einseitigen Marineaufmarsch mit dem Ziel, in die somalischen Hoheitsgewässer und Fischfangzonen einzudringen und diese zu kontrollieren. Der UN-Sicherheitsrat, von dessen Mitgliedern einige durchaus daran interessiert sind, ihre illegalen Fischereiflotten in den somalischen Gewässern zu schützen, verabschiedete die Resolutionen 1816 und 1838, quasi Freikarten für jedes Land, das einen Teil der somalischen Gewässer haben möchte. Sowohl NATO als auch EU erteilten entsprechende Befehle, und Russland, Japan, Indien, Malaysia, Ägypten, Yemen und wer immer sich ein bewaffnetes Schiff mit Mannschaft einige Monate lang leisten konnte, gesellten sich zu diesem Haufen.   

Jahre lang scheiterten Versuche, die die Bekämpfung der Piraterie auf den Meeren der Welt mittels UNO-Resolutionen zum Ziel hatten hauptsächlich daran, dass viele der Mitgliedsländer erkannten, dass derartige Resolutionen ihre Souveränität und Sicherheit schwer beeinträchtigen würden und sie die Kontrolle und Überwachung ihrer eigenen Gewässer nicht aufgeben wollten. Die UNO-Resolutionen 1816 und 1838, gegen die eine Anzahl von westafrikanischen, karibischen und südamerikanischen Ländern auftraten, wurden dann so zurechtgestutzt, dass sie nur mehr auf Somalia zutrafen, das über keine Vertretung bei der UNO verfügte, die stark genug gewesen wäre, um entsprechend für die Verteidigung der Souveränität aufzutreten. Die Widerstände aus der somalischen Bevölkerung gegen diese Resolutionen wurden ignoriert.

Die massive Invasion durch diese „globale Armada” findet unter dem Vorwand statt, die frequentierten Schiffshandelsrouten im Golf von Aden und im Indischen Ozean vor der somalischen Piraterie zu beschützen, die diese internationale Lebensader zu unterbrechen droht. Obwohl es zwei gleichermaßen widerliche, kriminelle, inhumane und ausbeuterische Piratenbanden in Somalia gibt, wird nur über eine davon in den westlichen Medien berichtet: die somalischen Schiffspiraten, die Handelsschiffe in den Gewässern attackieren, in denen auch die verbrecherischen Schwarzfischer aktiv sind.

Die illegale Fischpiraterie  

Viel größere Schäden in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Sicherheit hat die massive illegale ausländische Fischpiraterie verursacht, die die Ressourcen der somalischen Gewässer in den letzten 18 Jahren nach dem Zusammenbruch der somalischen Regierung im Jahr 1991 ausgefischt und zerstört haben. Mit ihrer üblichen Doppelmoral in Afrika betreffenden Angelegenheiten tritt die „internationale Gemeinschaft” kräftig auf, um die somalischen Fischer, die als Piraten tätig sind, zu verdammen und ihnen den Krieg zu erklären, während sie insgeheim ihre schützende Hand über die zahlreichen illegalen, außerhalb des Lichts der Öffentlichkeit operierenden und sich an keine Gesetze haltenden (Illegal, Unreported, Unregulated – IUU) Fischereiflotten aus Europa, Arabien und dem Fernen Osten halten. 

Einseitige UNO-Resolutionen, Befehle großer Mächte und Medienberichte sind weiter dabei, die Kaperung von Handelsschiffen durch somalische Piraten im Indischen Ozean und im Golf von Aden zu verurteilen. Wäre die Reaktion auf beide Landplagen ausgewogen und fair, wären diese Verurteilungen gerechtfertigt. Die Europäische Union, Russland, Japan, Indien, Ägypten und Yemen beteiligen sich gemeinsam an dieser Kampagne gegen die Piraterie, in erster Linie um ihre illegalen Fischereiflotten in den somalischen Gewässern zu decken und zu beschützen.

Warum wird in diesem Piraterie-Tamtam und in den Kampagnen die zweite Art der Piraterie, die IUU-Fischpiraterie ignoriert? Warum beinhalten die UN-Resolutionen, NATO-Befehle und EU-Dekrete betreffend die Invasion der somalischen Gewässer nicht den Schutz der somalischen Meeresressourcen vor den IUU-Flotten in eben diesen Gewässern? Diese skandalöse Fischpiraterie wird nicht nur missachtet, sondern die illegalen ausländischen Schwarzfischerflotten werden ermutigt, ihre Raubzüge fortzusetzen, da keine der Resolutionen, Befehle und Dekrete gegen sie gerichtet sind und sie unbeeinträchtigt in den somalischen Gewässern „arbeiten“ können. Die somalischen Fischer können jetzt nicht mehr die IUU-Flotten verscheuchen aus Angst, selbst als Piraten abgestempelt und von den ausländischen Marineschiffen angegriffen zu werden, die rechtswidrig die somalischen Gewässer kontrollieren. Sogar die traditionellen somalischen Handelsdhaus befürchten, für Piraten gehalten zu werden.

a.) IUU-Bedrohung und illegaler Fischhandel

Es besteht kein Zweifel daran, dass die IUU-Flotten ein ernstes globales Problemsind. Laut HSTF (High Seas Task Force – Hochsee-Überwachungseinheit) respektieren IUU-Flotten weder nationale Grenzen noch Souveränität, beuten Bestände, Meerestiere und Lebensräume rücksichtslos aus, untergraben Arbeitsbestimmungen und verzerren die Märkte. „IUU-Fischerei schadet dem Ökosystem Meer, da sie sich über die Regeln hinwegsetzt, die den Lebensraum Meer schützen sollen und Beschränkungen beinhalten betreffend den Fang von Jungtieren, den Schutz von Laichgründen und die Anpassung der Ausrüstung, um Fehlfänge möglichst zu vermeiden. ... Dadurch stehlen sie eine außerordentlich wertvolle Proteinquelle von einigen der ärmsten Völker der Erde und ruinieren den Lebensunterhalt redlicher Fischer; das Eindringen von Fischdampfern in die küstennahen Gewässer, die dem herkömmlichen Fischfang vorbehalten sind, kann zu Zusammenstößen mit lokalen Fischerbooten, Zerstörung von Fischerausrüstung und zum Tod von Fischern führen,“ sagt HSTF. In dem Bericht „Das Netz schließen: die illegale Hochseefischerei beenden“ schätzt HSTF den Wert der illegalen IUU-Fänge auf 4 – 9 Milliarden US$, einen großen Teil davon aus Afrika südlich der Sahara, hauptsächlich Somalia.  

Die IUUs verschleiern ihre illegalen Fänge durch schwimmende Fischfabriken, die auf See bleiben und dort umgeladen und versorgt werden. „Das heißt, dass Schiffe monatelang auf See bleiben können, wo sie betankt und mit Nachschub versorgt werden und die Mannschaft wechseln können. IUU-Fischdampfer brauchen nie einen Hafen anzulaufen, da sie ihre Fänge auf Transportschiffe umladen. Illegal gefangene Fische werden an Bord der Transportschiffe mit legal gefangenen gemischt,“ schreibt HSTF. Offensichtlich ist Fisch"wäsche", die hunderte Millionen Dollars auf dem Schwarzen Markt erbringt, nicht so kriminell wie Geldwäsche! Länder, in denen somalische Fische „gewaschen“ werden, sind unter anderem die Seychellen, Mauritius und die Malediven.  

Nachdem die EU viele ihrer Fischgewässer 5 bis 15 Jahre lang zwecks Regeneration der Bestände gesperrt, Asien seine Meere überfischt hat, nachdem die internationale Nachfrage nach nahrhaften Meeresprodukten steigt und die Angst vor einer weltweiten Lebensmittelknappheit wächst, sind die reichen, unkontrollierten und ungeschützten somalischen Gewässer zum Ziel der Fischereiflotten vieler Länder geworden. Untersuchungen durch Sachverständige der UNO, Russlands und Spaniens kurz vor dem Sturz der Regierung Barre 1991 haben ergeben, dass schätzungsweise 200.000 Tonnen Fisch pro Jahr durch herkömmliche und industrielle Fischerei gefangen werden könnten – und das ist das Ziel der internationalen Fischerbande. 

Zweifelsohne sind die Aktionen der Schiffspiraten abzulehnen und diese Zeitung will gar nicht versuchen, ihre abscheulichen Aktionen zu rechtfertigen oder zu erklären. Ihnen muss Einhalt geboten werden. Das kann aber nicht geschehen, wenn nicht gleichermaßen auch die IUU-Piraterie bekämpft wird.

b.) Der Ursprung des Kampfes um die somalische Piraterie

Der Ursprung der beiden Arten der Piraterie geht zurück ins Jahr 1992, auf den Sturz der Regierung des Generals Syad Barre und den Zerfall der Küstenüberwachung durch die somalische Flotte und Polizei. Nach schweren Trockenperioden 1974 und 1986 wurden zehntausende Nomaden, deren Viehbestände durch die Trockenheit ausgelöscht worden waren, in den Dörfern entlang der 3.300 km langen somalischen Küste neu angesiedelt. Sie entwickelten sich zu großen Fischereigemeinschaften, die ihren Lebensunterhalt aus dem Fischfang in küstennahen Gewässern bezogen. Von Beginn des Bürgerkriegs in Somalia 1991/1992 an begannen illegale Fischdampfer, in somalische Gewässer einzudringen und dort zu fischen, einschließlich der 12-Meilen-Zone, die für die herkömmliche Fischerei vorbehalten war. Die Schwarzfischer vergriffen sich an den Fischgründen der heimischen Fischer im Wettkampf um die reichlich vorhandenen Felsenhummer und hochwertigen Tiefseefische in den warmen Fluten entlang des Kontinentalsockels am Horn von Afrika. 

Hier begann der Pirateriekrieg zwischen einheimischen Fischern und den IUUs. Die einheimischen Fischer dokumentierten Fälle, in denen Fischdampfer heißes Wasser auf die Fischer in ihren Booten schütteten, deren Netze zerschnitten oder vernichteten, kleinere Boote rammten und deren Besatzung töteten und andere Misshandlungen, denen sie ausgesetzt waren, als sie versuchten, ihre nationalen Fischgründe zu verteidigen. Später bewaffneten sich die Fischer. Im Gegenzug bewaffneten sich viele der Fischdampfer mit raffinierteren Waffen und begannen, die Fischer zu überwältigen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die einheimischen Fischer ihre Taktik überdachten und ihre Ausstattung modernisierten. Diese Spirale der Gewalt bei der gegenseitigen Bekämpfung dreht sich seit 1991 bis in die Gegenwart. Sie entwickelt sich jetzt zu ausgewachsenen Konflikten rund um illegale Fischerei und Schiffspiraterie. 

Laut HSTF hielten sich zu einem Zeitpunkt im Jahr 2005 mehr als 800 IUU-Fischdampfer gleichzeitig in somalischen Gewässern auf, indem sie die Unfähigkeit Somalias ausnützten, seine Hoheitsgewässer und Fischereizonen zu überwachen und zu schützen. Nach Schätzungen entnehmen die IUUs Somalia jährlich über US$ 450 Millionen Wert an Fisch. Sie entschädigen weder die einheimischen Fischer, noch zahlen sie Steuer oder Pacht noch beachten sie irgendwelche Bestimmungen betreffend den Schutz von Fischbestand und Umwelt – im Gegensatz zur gesetzeskonformen Fischerei. Man nimmt an, dass die IUUs aus der EU allein fünfmal mehr aus dem Land herausholen als die jährliche Entwicklungshilfe ausmacht.

Illegale ausländische Fischdampfer, die seit 1991 in Somalia gefischt haben, gehören hauptsächlich Firmen im Bereich der EU und in Asien – Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland, Russland, Großbritannien, Ukraine, Japan, Südkorea, Taiwan, Indien, Yemen, Ägypten und vielen anderen. Unter den illegalen Schiffen, die vor der somalischen Küste von somalischen Fischern im Zeitraum von 1991 – 1999 gekapert wurden, befanden sich die taiwanesischen Trawler Yue Fa No.3, Chian Yuein No.232 und FV Shuen Ko No.11; die italienischen Schiffe MV Airone, MV De Giosa Guiseppe und MV Antonietta, registriert in Italien; MV Bahari Hindi, registriert in Kenia, im Besitz der Marship Company in Mombasa. Eine Anzahl von in Italien registrierten SHIFCO-Dampfern, koreanischen und ukrainischen Trawlern, indischen, ägyptischen und yemenitischen Booten wurden ebenfalls von Fischern gekapert und Lösegelder in verschiedener Höhe für ihre Freilassung bezahlt. Viele spanische Schiffe, die häufig in die somalischen Fischgründe eindringen, konnten einige Male der Kaperung entkommen.

Laut einem Bericht in der Daily Nation vom 14. Oktober 2004 haben sich sogar in Kenia registrierte Fischdampfer an der Ausbeutung der somalischen Fischereigründe beteiligt.  Am 4. Oktober 2004 ersuchte der kenianische Koordinator des SAP (Seafarers Assistance Program – Unterstützungsprogramm für Seefahrer) Herr Andrew Mwangura die kenianische Regierung, bei der Einstellung der illegalen Fischerei in Somalia behilflich zu sein. „Nachdem Somalia länger als elf Jahre ohne Regierung war, haben kenianische Trawler illegal in dessen Hoheitsgewässern gefischt und dadurch gegen die Bestimmungen von UNCLOS (United Nations Convention on the Law of the Sea – Seerechtsabkommen der Vereinten Nationen) und FAO (Welternährungsorganisation) verstoßen,“ sagte er. Weiters berichtete er, dass 19 in Kenia registrierte Fischereifahrzeuge illegal in somalischen Gewässern operierten.

Nach Übereinkommen mit somalischen Warlords wurden im Ausland neue Gesellschaften gegründet, die gefälschte Fischereilizenzen vertreiben sollten. In Europa und Arabien errichtete mafiöse Gesellschaften in somalisch-europäischem Besitz arbeiteten eng mit somalischen Warlords zusammen, die jedem ausländischen Fischpiraten falsche Fischerei’lizenzen’ ausstellten, der die somalischen Merresschätze ausbeuten wollte. Die in Großbritannien und Italien angesiedelten AFMET (African and Middle East Trading Co.) und PALMERA, sowie SAMICO in den UAE waren einige der korrupten Vehikel, die gefälschte Lizenzen ausstellten und als Anlaufstelle für die Warlords fungierten, die an der Beute beteiligt waren.

Unter den technischen Beratern dieser Mafiafirmen  - AFMET, PALMIRA udn SAMICO – befanden sich angeblich seriöse Firmen wie MacAllister Elliot & Partners im Vereinigten Königreich. Die Warlords General Mohamed Farah Aidiid, General Mohamed Hersi Morgan, Osman Atto und Ex-Präsident Ali Mahdi Mohamed übertrugen offiziell und schriftlich die Befugnis, Fischerei’lizenzen’ auszustellen, an AFMET, was die einheimischen Fischer und Merresexperten ganz einfach als „Handel zwischen Dieben” bezeichnen. Laut African Analysis vom 13. November 1998 erteilte AFMET allein 43 „Lizenzen“ zum Preis von US$ 30.000 für eine viermonatige Saison hauptsächlich an Spanier. Die spanische Pesca Nova bekam die „Lizenz“ von AFMET, während die französische Cobracafgruppe ihre von SAMICO zum Diskontpreis von US$ 15.000 pro Schiff und Saison erhielt.

Um nicht zu kurz zu kommen stellte im Oktober 1999 die Verwaltung von Puntland einer anderen Mafiagruppe namens PIDC, registriert in Oman, einen Freischein aus, um zu fischen, Lizenzen zu erteilen und die Küste von Puntland zu überwachen. PIDC wiederum tat sich zusammen mit der britischen Hart Group und gemeinsam plünderten sie die somalischen Fischgewässer nach Kräften, wobei sie in zwei Jahren über US$ 20 Millionen Profit machten. Ursprünglich war beabsichtigt, den Gewinn zu teilen, aber PIDC lieferte den Beuteanteil nicht an die Verwaltung von Puntland ab, worauf die Lizenzen widerrufen wurden. Nachdem sie ihren Teil der Vereinbarung nicht eingehalten hatten, verließen PIDC/Hart das Land mit einem stattlichen Gewinn. 

Somalische Beschwerden und Aufrufe gegen illegale Fischerei und Entladung von gefährlichen Abfällen

Ein weiteres großes Problem, das mit IUUs und illegaler Fischerei in Zusammenhang steht, ist die gewerbsmäßige Entladung von giftigen und nuklearen Abfällen vor und an den Küstengebieten Somalias. Somalische Behörden, einheimische Fischer, Bürgerorganisationen und internationale Organisationen haben darüber berichtet und vor den gefährlichen Folgen dieser verbrecherischen Handlungen gewarnt. In einer Presseaussendung am 16. September 1991 gab der SSDF, der zu dieser Zeit die nordöstlichen Regionen Somalias verwaltete, die strenge Warnung heraus “an alle nicht autorisierten und illegalen ausländischen Fischereifahrzeuge, mit sofortiger Wirksamkeit jegliche weitere gesetzwidrige Fischerei einzustellen und sich aus den somalischen Gewässern zu entfernen.” Im April 1992 schrieb der Vorsitzende des SSDF General Mohamed Agshir Musse an den damaligen italienischen Außenminister Gianni de Michelis einen Brief, in dem er ihn auf die Raubzüge und Umweltzerstörungen durch illegale italienische Fischereifahrzeuge in somalischen Gewässern aufmerksam machte.

Im September 1995 schickten die Vorsitzenden aller politischen Fraktionen Somalias (12 zu der Zeit) und zwei größere somalische NGO-Netzwerke gemeinsam einen Brief an den UNO-Generalsekretär Dr. Boutros Boutros Ghali, mit Kopien an EU, Arabische Liga, OIC, OAU und andere Beteiligte, in dem sie die Krisen aufgrund der illegalen Fischerei und Entladung gefährlicher Abfälle in den somalischen Gewässern schilderten und die UNO ersuchten, eine Einrichtung zum Schutz und für die Überwachung dieser Wasserwege zu schaffen. Sie wiesen darauf hin, dass der Luftraum Somalias bereits durch die ICAO verwaltet verwaltet wird und nach diesem Beispiel IMO oder eine neue Organisation die somalischen Gewässer verwalten könnten, bis eine somalische Regierung die Kontrolle übernehmen kann. In der Folge haben von 1998 bis 2006 die jeweiligen Fischereiminister des somalischen Staates Puntland wiederholt an die internationale Gemeinschaft appelliert: an UNO, EU, OAU, Arabische Liga und einzelne Nationen, sie sollten helfen, illegale Fischereischiffe von den somalischen Gewässern fernzuhalten. Die Minister beschwerten sich auch über Ölverschmutzung und die Entladung von giftigen und nuklearen Abfällen an der Küste Somalias.

Auch somalische Fischer aus verschiedenen Regionen des Landes beschwerten sich bei der internationalen Gemeinschaft über die illegale Fischerei, die armen Fischern den Lebensunterhalt stiehlt, über Abfallverschmutzung und andere ökologische Katastrophen, einschließlich des rücksichtslosen Einsatzes aller verbotenen Methoden der Fischerei: Treibnetze, Unterwassersprengladungen, die alle „gefährdeten Arten“ wie etwa Meeresschildkröten, Orkas, Haie, Walbabies usw. töten und Riffe, Biomasse und lebenswichtige Lebensräume für Fische im Meer zerstören (IRIN vom 9. März 2006). Fischer in Somalia haben an die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft appelliert, ihnen dabei zu helfen, die Küsten des Landes von ausländischen Schiffen zu befreien, die dort illegale Fischerei betreiben. Die Welternährungsorganisation FAO schätzte, dass 2005 rund 700 ausländische Schiffe illegalen Fischfang in somalischen Gewässern betrieben haben. Die FAO sagte, dass es „unmöglich sei, deren gesamte Fischproduktion zu überwachen, gar nicht zu reden vom Zustand der Fischereiressourcen, die sie ausbeuten ... es besteht auch ein starker Verdacht, dass industrielle und nukleare Abfälle an der somalischen Küste entladen werden (IRIN vom 9. März 2006).  

„Sie stehlen und rauben nicht nur unsere Fische, sie versuchen auch, uns vom Fischen abzuhalten,” sagte Jeylani Shaykh Abdi, ein Fischer in Merca, 100 km südlich von Mogadishu. „Sie haben unsere Boote gerammt und unsere Netze zerschnitten,” fuhr er fort. Mohamed Hussein, ein anderer Fischer aus Merca sagte „unsere Existenz hängt von der Fischerei ab.” Er beschuldigte die internationale Gemeinschaft, „nur vom Problem der Piraterie in Somalia zu reden, aber nicht von der Zerstörung unserer Küste und unserer Leben durch diese fremden Schiffe.“ Jeylani bemerkte, dass die Anzahl der fremden Schiffe im Lauf der Zeit angewachsen ist. „Es ist jetzt normal, sie jeden Tag zu sehen, wenige Meilen vor unserer Küste“. (IRIN vom 9. März 2006)

Indem sie diese Aktivitäten als „ökonomischen Terrorismus” bezeichneten, berichteten somalische Fischer IRIN, dass die Schwarzfischer nicht nur die Fischbestände plünderten, sondern auch das Meer mit Abfällen und Öl verschmutzten. Sie beklagten, dass die somalische Regierung nicht stark genug sei, um dem Einhalt zu gebieten. „Wir wollen, dass uns die internationalen Organisationen bei der Bewältigung dieses Problems helfen,“ sagte Hussein. „Wenn nichts unternommen wird, werden bald nur mehr wenige Fische in unseren Küstengewässern übrig sein.“ Musse Gabobe Hassan und Mohamed Hassan Tako vom Meeresforschungs- und Fischereiinstitut in Mogadishu beschuldigen die fremden Schiffe, illegal zu fischen und gefährliche Abfälle in somalische Gewässer zu entsorgen. „Somalias Gemeinwesen an der Küste, die mühsam ihren Lebensunterhalt dem Meer abringen, appellieren an die internationale Gemeinschaft, ihnen dabei zu helfen, die illegalen Fischereiflotten aus Industrienationen wie aus Entwicklungsländern davon abzuhalten, die Reichtümer unserer Gewässer zu rauben und die Lebensräume zu verschmutzen,” sagten sie.

Wie der UN-Sicherheitsrat präsentierte auch Chatham House, eine Beratungsagentur für internationale Angelegenheiten, in einem viel publizierten neuen Papier über Piraterie in Somalia keine ausgewogene Darstellung der Angelegenheit und konzentrierte sich auf die Schiffspiraterie-Seite der Münze. Der Verfasser des Papiers Roger Middleton erwähnt immerhin so nebenbei, dass Europäer, Asiaten und Afrikaner (Ägypter und Kenianer) illegal in den somalischen Gewässern fischen. Indem sie den grundlegenden IUU-Faktor ignorieren, der überhaupt erst zu der Schiffspiraterie geführt hat, scheinen UNO sowie Roger Middleton entweder fehlgeleitet zu sein oder stehen unter Druck, diese einseitige Vorgangsweise zu vertreten, da mächtige Interessen das profitable Geschäft der illegalen Fischerei geheimhalten und beschützen wollen. 

Diese Krisen betreffend illegale Fischerei, Abfallentsorgung, Warlord/Mafia-Abkommen und die lauten Beschwerden der somalischen Fischer und Zivilgesellschaft sind UNO-Agenturen und internationalen Organisationen hinreichend bekannt gemacht worden. Die UNO-Agenturen und Organisationen, die volle Kenntnis dieser Tatsachen hatten, brachten oft Bedauern und Wehklagen zum Ausdruck, unternahmen aber keinerlei Schritte gegen diese kriminellen Aktivitäten. Es sieht so aus, als hätten sie auch den UN-Sicherheitsrat über diese Tragödie nicht informiert, bevor dieser seine Resolutionen 1816 und 1838 am Beginn dieses Jahres verabschiedete. 

Herr Ould Abdalla, Sonderbotschafter des UN-Generalsekretärs für Somalia, der es eigentlich besser wissen sollte, verurteilte weiterhin in einer Reihe von Presseaussendungen höchst einseitig die somalische Schiffspiraterie. In seiner Presseaussendung vom 11.11.2008 begrüßte er wärmstens das Übereinkommen von EU-Mitgliedsstaaten, Schiffe zur Bekämpfung der Piraterie vor Somalia zu entsenden. „Ich bin höchst erfreut über diese Entscheidung der EU,“ verlautete Herr Ould Abdallah. „Die Piraterie vor der somalischen Küste ist eine ernste Bedrohung für die Freiheit der internationalen Seefahrt und die regionale Sicherheit.“ Er vergaß allerdings, die Fischpiraterie zu verurteilen, die Sicherung des Lebensunterhalts der somalischen Fischergemeinwesen zu erwähnen und konkrete Aktionen vorzuschlagen, wie mit den beiden Arten der Piraterie verfahren werden sollte, die nur zwei Seiten der selben Münze bilden. 

In der FAO-Studie “Somalia´s Fishery Review” von Frans Teutscher, erschienen am 11. November 2005 heißt es: „Infolge der fehlenden Gesetze und/oder der Möglichkeiten zu deren Überwachung und Durchsetzung kommt es zu extensiver illegaler, nicht gemeldeter und sich nicht an die Gesetze haltender Schwarzfischerei und bedeutende Mengen von nicht erwünschtem Beifang werden weggeworfen, da sie zum Zeitpunkt nicht genützt werden können.“ Der Bericht hält fest, dass die ausländischen IUUs ihre Fänge maximieren, indem sie das ganze Jahr hindurch fischen, ohne Rücksicht auf das Ökosystem, sich um die Laichzeiten von Fischen und Krustentieren nicht kümmern, irreparablen Schaden durch ihre massiven Schleppnetze anrichten, Sprengstoffe einsetzen und die einheimischen Fischer um ihren Lebensunterhalt bringen.

In einem Brief an den SSDF im Januar 1988 drückte Dominic Langenbacher, der Vertreter der UNDP in Somalia, seine Befürchtungen hinsichtlich der Gefahren aus, die die ausländischen Fischereischiffe für Fischbestände und Umwelt Somalias darstellen. „Die internationale Gemeinschaft macht sich Sorgen, dass die Entsorgung von giftigen Abfällen, die Fischpiraterie durch ausländische Schiffe und die Überfischung der somalischen Bestände das Ökosystem der gesamten Region möglicherweise auf Dauer beeinträchtigen könnten,“ sagte er. „Außerdem hat Somalia zur Zeit keine Möglichkeiten, mögliche Ölverseuchungen und andere Katastrophen auf dem Meer zu bewältigen und ist nicht in der Lage, seine Küstengewässer zu überwachen und zu kontrollieren und, falls nötig, Such- und Rettungsoperationen auf See durchzuführen,” fuhr er fort. 

Dr. Mustafa Tolba, ehemaliger Geschäftsführer von UNEP bestätigte, dass italienische Firmen tödlich giftigen Abfall in Somalia entsorgt haben, der „zu weiteren Verlusten von Leben in dem bereits verwüsteten Land führen könnte.” Dr. Tolba sagte, dass die Anlieferung der giftigen Abfälle, die die Zerstörung des Ökosystems in Somalia verschlimmern, „der Firma, die den Transport durchgeführt hat, Profite zwischen 2 bis 3 Millionen US$ einbracht hat“ (Sunday Nation, 6.9.1992).

In einem Vorschlag an die UNDP betreffend die weitere Vorgangsweise in Somalia in den früher 90er Jahren schreibt John Laurence, ein Fischereiexperte der PanOceana Resources Ltd über die katastrophale und herzzerbrechende Ausbeutung der somalischen Gewässer. „Was die Ausbeutung der somalischen Fischgründe durch große schwimmende Fischfabriken und Fischereischiffe betrifft, sind wir der Meinung, dass die UNO eingreifen muss. Dieses Gebiet ist bekannt als eine der fünf reichsten Fischereizonen der Welt und war bisher nicht ausgebeutet. Es wird jetzt geplündert, ohne Überprüfung durch eine Behörde, und wenn die Fischerei in diesem Ausmaß fortgeführt wird, sind die Bestände in Gefahr vernichtet zu werden. ... Auf diese Weise wird eine wichtige Ressource der Erde ernsthaft bedroht und die UNO lehnt sich zurück und tut nichts, um das zu verhindern.“ „Zum zweiten entgeht dem somalischen Volk jegliches Einkommen aus dieser Ressource dadurch, dass es nicht in der Lage ist, Lizenzen zu vergeben und das Gebiet zu kontrollieren“ und „Die UNO kümmert sich nicht um die Aktivitäten der Fangschiffe, deren Betreiber ihre Abgaben nicht bezahlen, die unter allen anderen Umständen durch jeden internationalen Gerichtshof zwangsweise eingetrieben würden,“ sagt Laurence.

Überraschenderweise ignorierte die UNO ihre eigenen Erkenntnisse über die Verstöße, ignorierte die somalischen und internationalen Appelle betreffend die anhaltende Plünderung der somalischen Meeresressourcen und die Entsorgung gefährlicher Abfälle. Statt dessen beschlossen die UNO und die Großmächte unter Berufung auf Artikel IIV der UNO-Charta, „in die territorialen Gewässer Somalias einzudringen ... und innerhalb dieser territorialen Gewässer ... alle notwendigen Schritte zu ergreifen, um Akte von Piraterie und bewaffnetem Raub zu identifizieren, abzuhalten, zu verhindern und zu unterdrücken, und Schiffe, die an Akten der Piraterie beteiligt oder verdächtigt werden, an Akten der Piraterie oder bewaffneten Raubes beteiligt zu sein, zu beschlagnahmen und Personen, die an solchen Handlungen beteiligt sind, festzunehmen in Hinblick darauf, dass diese gerichtlich verfolgt werden“ (Resolution 1816).

Es soll betont werden, dass in den UN-Resolutionen keine Rede ist von der illegalen Fischpiraterie, der Verklappung von gefährlichem Abfall oder der Notlage der somalischen Fischer. Gerechtigkeit und Fairness wurden übersehen bei der zweifachen Problemkonstellation Fischpiraterie -  Schiffspiraterie.

Die Illegalität und Undurchführbarkeit der Maßnahmen von UNO, NATO und EU

Die globale Armada hält sich in den Gewässern Somalias illegal auf, da sie keine Erlaubnis vom übergangsmäßigen somalischen Bundesparlament TFP (Transitional Federal Parliament) hat. Es ist unwahrscheinlich, dass sie ihr erklärtes Ziel erreichen wird, der Schiffspiraterie Einhalt zu gebieten. Das TFP und die Abgeordneten des EU-Parlaments wiesen die Entscheidungen von UNO und EU zurück, die somalischen Gewässer (Golf von Aden und Indischen Ozean) zu kontrollieren, da diese gesetzeswidrig und undurchführbar seien. In einer Pressekonferenz in Nairobi am 18. Oktober 2008 bezeichnete der Sprecher des TFP Mohamed Omar Dalha den Einsatz ausländischer Kriegsschiffe an der Küste des Landes zur Bekämpfung von Piraterie als Verletzung der Souveränität des Landes und forderte die ausländischen Kriegsschiffe auf, „die somalischen Gewässer zu verlassen.“ Der Sprecher stellte das Ziel des Einsatzes in Frage und gab der Vermutung Ausdruck, dass die beteiligten Mächte geheime Absichten verfolgten. Er sagte, wenn diese Mächte wirklich die Piraterie zurückdrängen wollten, hätten sie die somalischen Behörden unterstützt und ausgerüstet, die dieser Bedrohung effektiver Einhalt gebieten könnten. „Wären die Millionen von Dollars statt den Piraten oder für den Einsatz von Kriegsschiffen uns gegeben worden, hätten wir dieses Problem gelöst,” sagte er.     

Verschiedene Abgeordnete des EU-Parlaments bezeichneten die Marinemission der EU, die gegen Piraten vor den Küsten Somalias eingesetzt werden sollte, als “militärischen Unsinn”, “moralisch falsch” und “ohne internationale gesetzliche Grundlage“. Die deutsche Abgeordnete der Grünen Angelika Beer unterstrich das Fehlen der internationalen gesetzlichen Grundlage für die Fortsetzung der Mission im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESDP). „Es gibt keine Klarheit über den Umfang dieses Mandates. Wird die EU Schiffe versenken und Piraten verhaften können?“ fragte sie. Die portugiesische sozialistische Abgeordnete Ana Maria Gomes hielt eine aufwühlende Rede über das “moralische Problem” der EU-Mission, die ihrer Meinuing nach nur dazu dient, “Öltanker zu beschützen.” „Niemand kümmert sich um die Menschen in Somalia, die wie die Fliegen sterben,“ sagte sie (EU-Observer vom 15. Oktober 2008).

Zusammenfassung

Die Kriegsschiffe von EU, NATO und Vereinigten Staaten von Amerika können natürlich die Piraten und die Gemeinwesen an der Küste, die ihnen Rückhalt bieten, terrorisieren und auslöschen, aber das wäre eine illegale verbrecherische Vorgangsweise. Allerdings könnte das zeitweilig die Intensität der Schiffspiraterie reduzieren, ohne allerdings zu einer langfristigen Lösung des Problems zu führen. Es besteht auch das Risiko, dass ausländische Schiffsbesatzungen ums Leben kommen. Der ökologische Impakt einer größeren Ölkatastrophe würde die gesamten Küstenregionen Ostafrikas und den Golf von Aden treffen.

Hinsichtlich ihrer derzeitigen Piraterie-Operationen glauben die somalischen Fischer-Piraten echt, dass sie damit ihre Fischfanggewässer beschützen (12-Meilen-Hoheitszone und wirtschaftlich zugehörige Meeresgebiete). Sie sind auch der Meinung, dass sie rechtmäßig handeln und sich Schadenersatz für die gestohlenen Meeresgüter und das durch die IUUs zerstörte Ökosystem holen. Dieses Denken wird geteilt und voll unterstützt durch die Gemeinwesen an der Küste, zu deren Beschützern und Versorgern sie geworden sind.   

Die Angelegenheit verlangt sorgfältige Untersuchung und ein besseres Verständnis der lokalen Gegebenheiten. Die Piraterie beruht auf den Problemen der Region und verlangt eine Reihe von umfassenden Vorgangsweisen seitens lokaler wie auch auswärtiger Partner.

Erstens besteht die praktische und nachhaltige Lösung darin, dass die beiden Probleme der Schiffspiraterie und der illegalen Fischereipiraterie - der Wurzel des Übels - gleichzeitig angegangen werden.

Zweitens sollte die Krise der nationalen Institutionen in Zusammenhang mit dem Thema Piraterie überdacht werden.

Drittens sollten lokale Institutionen eingeschaltet und unterstützt werden, besonders beim Aufbau einer Küstenwache, bei der Ausbildung von Personal und bei der Errichtung von erforderlichen Anlagen. Vielleicht klingt das für Geldgeber und UNO-Agenturen, als verlange man zu viel. Wir sollten aber auch fragen, was es für diejenigen, für die zig Millionen Dollars an Lösegeld bezahlt worden sind, bedeutet hat, monatelang als Geiseln fern von ihren Geliebten festgehalten zu werden.  

Viertens sollte eine von Somalia und UNO gemeinsam betriebene Überwachungsagentur in Betracht gezogen werden, wie sie in Form der ICAO bereits für die Überwachung des Luftraumes besteht.  

     
  erschienen auf www.radiodaljir.com am 15. April 2009 > http://radiodaljir.com/xview.php?id=433  
     
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