HOME     INHALT     INFO     LINKS     ARCHIV     KONTAKT
 
     
  Faschismus braucht einen Feind

Ran HaCohen 

Kritisch denkende Israelis – eine kleine Minderheit – kennen dieses Muster bereits: ganz egal, wie extrem unser neuer Premierminister ist, die Medien brauchen nicht länger als ein paar Monate, um ihn als den vernünftigen, gemäßigten und pragmatischen Anführer der politischen Mitte darzustellen. Wenn sogar der Krieger General Sharon als „Mann des Friedens“ reüssieren konnte, warum sollte Netanyahu das nicht schaffen? Der entscheidende Schritt in diese Richtung war seine „Bar-Ilan-Rede“ am 14. Juni, nach der die führenden israelischen Kolumnisten, angeführt vom pathetischen Ari Shavit (Ha’aretz) und seinem intellektuell anspruchslosen Zwillingsbruder Ya’ir Lapid (Yedioth Achronot) allesamt daherschwafelten von Neubeginn, Revolution und Rubicon für den angeblich neuen Führer des friedliebenden Israel.

Man kann wenig anderes von den israelischen Massenmedien erwarten, die abgestumpft sind von jahrzehntelanger Indoktrination und Eigeninteressen, oder von Israels Präsident Peres, in dessen politischem Wörterbuch W wie Wahrheit nie vorgekommen ist. Die Welt sollte sich aber in Acht nehmen. Im Gegensatz zu Libanon oder Iran hat sich Israel in der Ära Obama keinen einzigen Schritt weiter bewegt. Im Gegenteil: mit dem schurkischen Triumvirat Netanyahu, Barak und Lieberman wird Israel jetzt beherrscht von der nationalistischsten, rassistischsten und fanatischsten Regierung, die es je gehabt hat. Darüber hinaus bietet die wichtigste Oppositionspartei unter der Führung der ultranationalistischen Livni und des opportunistischen Berufssoldaten Mofaz mehr oder weniger ein Duplikat der Regierungsriege, so dass der ohnehin eingeschränkte öffentliche Diskurs zwischen zwei ideologisch und politisch Gleichgesinnten verläuft und keinerlei Alternative zu bieten hat. In der Tat verfügt die israelische Rechte jetzt über mehr als 80 % der Sitze in der Knesset – den Rest bilden die arabischen Parteien, Meretz und eine zweifelhafte Dissidentenfraktion innerhalb der Labor-Partei. Der israelische Medienkonsument bekommt also nichts mit außer bestenfalls nationalistischer bis schlimmstenfalls rassistischer antipalästinensischer, anti-Friedens-, pro-Okkupations–Gehirnwäsche. 

Täuschen Sie sich nicht: Netanyahu ist ein Mann der Okkupation, wie er immer einer gewesen ist. Hören Sie auf  Netanyahus ideologischen Mentor, seinen Vater Professor Benzion Netanyahu, der öffentlich äußerte, sein Sohn würde niemals einem palästinensischen Staat zustimmen; wie Netanyahu seinem Vater sagte, packte er deshalb so viele Bedingungen in sein Bar-Ilan-Angebot, damit es für die Palästinenser inakzeptabel wurde. Es ist noch abzuwarten, ob Netanyahus Anti-Friedens-Taktik aus ins Nichts verlaufenden ewigen Friedensverhandlungen bestehen oder ob er auf Baraks „Entlarvungs“-Spiel umschwenken wird. Die Freigabe der okkupierten Territorien und das Ende des israelischen Kolonialismus stehen ganz eindeutig nicht auf der Tagesordnung. Gerade zwei Wochen vor Netanyahus „historischer“ Zwei-Staaten-Rede verabschiedete die Knesset einen Beschluss gegen einen palästinensischen Staat, der die Jordanier in Erregung versetzte, da in diesem behauptet wurde, Jordanien sei der Palästinenserstaat. Die Initiative dazu ging zwar nicht von Netanyahus Koalition aus, sondern von einer faschistischen Partei weiter rechts, aber dieser Antrag, der eine überwiegende Zustimmung von 53 zu 9 fand, wurde nur wenige Tage nach der von einem Mitglied von Netanyahus Likud-Partei organisierten Konferenz der Knesset über „Alternativen zu der zwei-Staaten-Lösung“ eingebracht. 

Es ist also genau so unrealistisch, von Israel einen Stop oder gar ein Einfrieren der Siedlungsaktivitäten zu erwarten, nur weil Präsident Obama das sagt, wie es unrealistisch wäre, von al-Qaeda zu erwarten, sie solle aus diesem Grund ihre Waffen niederlegen. Israels unehrlichste Köpfe – der oberste von ihnen Verteidigungsminister Barak – tun ihr bestes, um eine „Formel“ zu finden, die ihnen die Fortsetzung des organisierten Landraubs durch Israel in der West Bank ermöglicht – etwa unter dem Titel „natürliches Wachstum,“ „Siedlungsblöcke,“ „zeitweiliges Einfrieren“ oder ähnliche Lügen. Die Enteignung darf nicht gestoppt werden. Immerhin sind die Siedlungen das weitaus wichtigste Projekt des Staates Israel, und sie waren das in den vergangenen vier Jahrzehnten, das heißt zwei Drittel der israelischen Geschichte hindurch in einem Ausmaß, dass Israel eindeutig von seinem eigenen Kolonialismus in diese Zwangslage gebracht worden ist.   

Das alte neue Ziel: die israelischen Palästinenser

Indem sie den neuen Wind aus Washington ignorieren, sind die israelischen Eiferer so selbstsicher, dass sie die Okkupation als gegebene Tatsache betrachten: Sie bezweifeln nicht, dass Israel, nachdem es geschafft hat, die Welt hinters Licht zu führen und die Zahl der illegalen Siedler seit Beginn des Osloer „Friedensprozesses“ zu verdoppeln, auch weiterhin imstande sein wird, die okkupierten Palästinenser – eingesperrt und verarmt in der West Bank, versklavt und ausgehungert in Gaza – für weitere Jahrzehnte unter seinem barbarischen Stiefel zu halten. Ihr Optimismus könnte gerechtfertigt sein: Obama hat noch einen weiten Weg vor sich, um zu beweisen, dass er es ernst meint.   

Ausgehend von diesem Selbstvertrauen und ausgehend von der Tatsache, dass der bewaffnete Kampf der Palästinenser unter Kontrolle ist, richten sich Israels Hassenergien jetzt auf einen anderen Feind: die israelischen Araber, die etwa 20% starke Minderheit der Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft. In Israel findet eine umfassende Kampagne statt mit dem Ziel, die Rechte der israelischen Palästinenser zu beschneiden und diese weiter an den Rand zu drängen. Dieser Trend hat nicht mit Netanyahu begonnen, aber er kann sich jetzt darauf verlassen, dass er tatkräftige Unterstützung seitens Parlament und Regierung findet.

Netanyahus Bar-Ilan-Rede war symptomatisch, indem sie eine neue zentrale Forderung an die besetzten Palästinenser stellte als Bedingung, ihnen einen (kastrierten) Staat zu gewähren: sie müssen zuerst Israel „als einen jüdischen Staat“ anerkennen. Das klingt idiotisch: Braucht Israel Außenstehende, um seinen eigenen Charakter zu definieren? Das wirkliche Ziel hinter dieser Bedingung sind allerdings die israelischen Palästinenser. Die Forderung an die okkupierten Palästinenser, den jüdischen Charakter Israels anzuerkennen, spielt diese gegen die israelischen Palästinenser aus: Ihr wollt euren eigenen Staat? Wendet zuerst euren Brüdern in Israel euren Rücken zu und treibt ihnen ihre Forderungen nach völliger Gleichheit innerhalb Israels aus. Wenn sogar Abu Mazen feststellt, dass Israel „ein jüdischer Staat ist,“ können die arabischen Israelis nicht eine völlige Gleichstellung verlangen, und falls sie das doch tun, sagen wir ihnen, sie sollen sich über die Grenze verpissen. Als Vorbedingung für eine Diskussion über das Ende ihrer Kolonisation müssen sich die Palästinenser der klassischen kolonialistischen Strategie des Teile und Herrsche unterwerfen.

Netanyahus neue Bedingung ist jedoch in erster Linie an die Adresse jüdisch-israelischer Ohren gerichtet: sie lenkt die Aufmerksamkeit von den okkupierten Territorien auf Israel selbst, indem sie nahelegt, das „unser wirkliches Problem“ im Inneren liegt, bei diesen von Natur aus verräterischen „israelischen Arabern“. Hier trifft sich Netanyahu mit Liebermans faschistischem Wahlslogan „Keine Loyalität, keine Staatsbürgerschaft“ und bewegt sich weiter auf dieser Linie.

Netanyahus Rede ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Krieg gegen die israelischen Palästinenser reicht viel weiter. Er äußert sich im Justizsystem, wo zum Beispiel ein jüdischer Bauer, der arabische Einbrecher in den Rücken schoss, als sie von seinem Hof flüchteten, und dabei einen tötete und einen verletzte, freigesprochen wurde (und jetzt als nationaler Held gefeiert wird). Orly Noy schreibt (in der hebräischen Ausgabe von Ynet): „Ausgehend von der gerichtlichen und öffentlichen Atmosphäre heutzutage in Israel ist nichts einfacher vorherzusagen als der Freispruch eines Juden, der Gewalt, auch in einer extremen Form gegen einen arabischen Bürger ausgeübt hat.“ In einem anderen Fall wurde ein jüdischer Mann, der einen Taxifahrer ermordet hatte, nur weil er Araber war, für „verhandlungsunfähig“ befunden. Ein höherer Armeeoffizier, der seinem Soldaten befohlen hatte, auf einen gefesselten Palästinenser, dessen Augen verbunden waren, zu schießen, wurde lediglich wegen „unpassenden Benehmens“ angeklagt. Sogar der Oberste Gerichtshof Israels fand diese Anklage unangemessen.

Die Diskriminierung israelischer Araber ist natürlich nicht neu, sogar die offizielle israelische Or-Kommission stellte 2003 fest, dass „der Umgang der Regierung mit dem arabischen Sektor in erster Linie nachlässig und diskriminierend war.“ Während es allerdings in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends so aussah, als ließe die Diskriminierung nach, zeigen die letzten Jahre eine gegenteilige Entwicklung. Maßgeblich dafür scheint eine Änderung am Einbürgerungsgesetz im Dezember 2003 zu sein, der Palästinensern aus den besetzten Gebieten die Möglichkeit verwehrt, durch Heirat mit einem israelischen Staatsbürger zu einem legalen Aufenthaltsstatus oder zum Erwerb der Staatsbürgerschaft zu kommen, wodurch sie daran gehindert werden, mit ihren Ehepartnern in Israel zu leben. Massiv kritisiert von israelischen und internationalen Menschenrechtsgruppen richtet sich dieses Gesetz ausschließlich gegen die israelische palästinensische Minderheit, deren Mitglieder oft über die Grüne Linie hinweg heiraten.

Die Flut von Gesetzen und Bestimmungen gegen die israelischen Araber wuchs exponentiell an. Vor einem Jahr wurde plötzlich eine vergessene im Jahr 1939 unter der britischen Mandatszeit erlassene Bestimmung wiederbelebt, die den Import von in feindlichen Ländern gedruckten Büchern verbietet, wodurch die Zollschranken für im Libanon (ein wichtiges Verlagszentrum für arabische Publikationen) und anderen arabischen Ländern gedruckte arabische Schulbücher und alle Art von Literatur geschlossen wurden. Es geht dabei nicht um Sicherheitsangelegenheiten: alle importierten Bücher werden ohnehin der Zensur unterzogen.

Eine ähnliche Provokation ist die kürzliche Anweisung des Ministers für das Transportwesen, arabische Ortsbezeichnungen von Verkehrszeichen zu löschen und sie durch die ins Arabische transliterierten hebräischen Namen zu ersetzen. Dadurch sollten Ortsnamen, einschließlich der von gemischt besiedelten oder arabischen Städten wie Yaffa (Jaffa) oder Shafa’amr, öffentlich in Arabisch (!) entsprechend ihrer hebräischen Aussprache – Yafo oder Shefar’am angeschrieben werden. Während in aller Welt, von Kanada bis Australien, ehemals kolonialistische Nationen das kulturelle Erbe, die Rechte und die an den einheimischen Minderheiten begangenen Verbrechen respektieren und eingestehen, hat das kolonialistische Israel es eilig, diese auszulöschen – politisch, kulturell und physisch.

Ein weiterer Angriff gegen die israelisch-palästinensische Minderheit ist der vorgeschlagene Entwurf für ein Gesetz zum Verbot der Erinnerung an die Nakba, die Katastrophe im Jahr 1948, in der hunderte palästinensische Dörfer zerstört und hunderttausende zu Flüchtlingen wurden. Obwohl dessen ursprüngliche Version, welche Gefängnisstrafen für Individuen vorsah, die der Nakba gedenken, zu einer Formulierung abgemildert wurden, die es nur öffentlichen Organen verbietet, dieser Ereignisse zu gedenken, ist die Zielrichtung klar – wie auch bei dem (gerade abgelehnten) Gesetz, das eine Loyalitätserklärung von jedem israelischen Bürger verlangt hätte.

*

Der Angriff auf Israels palästinensische Minderheit hat tiefe ideologische Wurzeln in einem extremen nationalistischen Purismus, ist aber in erster Linie politisch motiviert. Die israelischen Araber sind trotz sechs Jahrzehnte langer Diskriminierung eine unglaublich loyale Minderheit. Die israelische Rechte will ganz klar dieser Loyalität ein Ende bereiten und hofft, die israelischen Araber durch diese Hetzerei zu der einen oder anderen Form von gewalttätigem Widerstand zu bewegen, von Gewalt auf der Straße bis hin zu terroristischen Attacken. Das würde die ersehnte Atmosphäre von Verdächtigungen, Angst und Hass schaffen, die der Faschismus immer braucht, um gedeihen zu können. Eine Intifada der arabischen Israelis ist der innen- und aussenpolitischeWunschtraum vieler israelischer Rechter. Diese würde ihnen die Möglichkeit bieten, Israel einmal mehr als das bedrohte Opfer von arabischer/islamischer/nichtjüdischer Verfolgung zu präsentieren, anstatt als die schurkische kolonialistische Regionalmacht, die es tatsächlich ist.

 
     
  erschienen am 20.07.2009 auf > www.antiwar.com > http://original.antiwar.com/hacohen/2009/07/19/fascism-needs-an-enemy/  
     
  <<< Inhalt