HOME     INHALT     INFO     LINKS     ARCHIV     KONTAKT
 
     
  Richter warnt vor Zweiklassen – Justizsystem in Israel

Jonathan Cook 

Ein israelischer Richter fällte in der vergangenen Woche ein historisches Urteil, indem er entschied, dass ein arabischer Jugendlicher vor dem Justizsystem „beschützt“ werden müsse und ihn nicht verurteilte, obwohl er für schuldig befunden worden war, im Zuge eines Protestes gegen den israelischen Überfall auf Gaza im letzten Winter Steine gegen ein Polizeiauto geworfen zu haben.

Die Staatsanwaltschaft hatte gefordert, den Jugendlichen, einen Siebzehnjährigen aus Nazareth in Nordisrael, wegen Gefährdung eines Automobils auf der Straße zu verurteilen, ein Delikt, das mit Strafen bis zu 20 Jahren Gefängnis bedroht ist, um andere Mitglieder der arabischen Minderheit in Israel davon abzuhalten, ähnliche Delikte zu begehen.

Richter Yuval Shadmi sagte jedoch, dass Diskriminierung im Umgang der israelischen Justiz mit jüdischen und arabischen Jugendlichen besonders in Fällen von wie er sagte „ideologisch motivierten“ Straftaten „allgemein bekannt“ sei.

In dem Gerichtsbeschluss hielt er fest: „Ich will sagen, dass der Staat nicht berechtigt ist, mit einer Hand die jüdischen 'ideologischen' Täter zu streicheln und mit der anderen Hand die arabischen 'ideologischen' Täter zu peitschen."

Im besonderen bezog er sich dabei auf die milde Behandlung durch Polizei und Gerichte von jugendlichen jüdischen Siedlern, die Soldaten in der West Bank angegriffen und sich 2005 mit Gewalt dem Rückzug aus dem Gazastreifen widersetzt hatten, und von religiösen Extremisten, die viele Monate lang mit der Polizei gekämpft hatten, um die Öffnung eines Parkplatzes in Jerusalem am Sabbath zu verhindern.

Abir Baker, eine Rechtsanwältin von Adalah, einer Rechtshilfegruppe für Israels 1,3 Millionen starke arabische Minderheit sagte, dieser Gerichtsbeschluss sei das erste Mal, dass ein Richter in einem Strafverfahren bestätigt hat, dass der Staat eine Politik systematischer Diskriminierung durch die Forderung nach strengeren Strafen für arabische Bürger verfolgt.

„Wir wissen das schon lange, aber es war sehr schwer für uns, das so zu beweisen, dass das Gericht damit zufrieden war,“ sagte sie. „Jetzt haben wir einen Präzedenzfall, den wir benutzen können, um gegen Urteile in ähnlichen Fällen vorzugehen.“

Der Jugendliche war festgenommen worden während einer Protestaktion auf einer Staße in der Nähe von Nazareth, wenige Tage nachdem Israel mit seinem Gemetzel in Gaza im letzten Dezember begonnen hatte.

Dutzende Demonstrationen fanden in Israel während der vier Wochen dauernden Schlächterei statt, bei denen 830 Menschen im Zuge von oft brutalen israelischen Polizeiaktionen festgenommen wurden, wie Menschenrechtsgruppen berichteten.

Die überwiegende Mehrheit der Festgenommenen waren laut Menschenrechtsgruppen arabische Bürger, obwohl auch israelische Juden teilgenommen hatten. Adalah berichtete, dass in der Folge Anklage gegen 250 Demonstranten erhoben wurde, fast alle davon Araber und die Hälfte davon Jugendliche.

Richter Richard Goldstone schrieb in seinem im September erschienenen UNO-Bericht über den Überfall auf Gaza, er sei „betroffen“ gewesen aufgrund der Tatsache, dass trotz vieler Gegendemonstrationen durch rechtsgerichtete Juden, die gewalttätig verlaufen seien, die Polizei in solchen Fällen „keine Festnahmen“ durchgeführt zu haben schien.

Er hielt weiter fest, dass nach seinen Informationen den meisten arabischen Demonstranten eine Entlassung gegen Kaution verweigert wurde und sie längere Zeiten in Haft verbringen mussten, sogar in Fällen, in denen sie mit relativ geringe Strafen zu rechnen hatten.

Über das Justizsystem folgerte Goldstone, dass „das Element der Diskriminierung zwischen ... und die verschiedene Behandlung von palästinensischen und jüdischen Bürgern Israels durch die Justizbehörden, wie sie aus den erhaltenen Berichten hervorgehen, Anlass zu großen Besorgnis bilden.“ 

Das Urteil des Jugendgerichts in Nazareth scheint diese Erkenntnisse zu bestätigen.

Shadmi schrieb in seinem Urteil, dass in den letzten Jahren die israelischen Behörden „zwei grundlegend verschiedene Verfolgungsstrategien in Bezug auf Straftaten eingeschlagen haben, die von [israelischen] Jugendlichen begangen werden.“

Er führte aus, dass in Fällen von Gewalt jüdischer Jugendlicher gegen die Sicherheitsdienste die Strafverfahren üblicherweise bedingt eingestellt oder schon vor der Erhebung einer Anklage eingestellt werden. Er sagte, er habe von keinem einzigen Fall gehört, in dem ein jüdischer Jugendlicher für derartige Vergehen ins Gefängnis gekommen sei, obwohl die meisten arabischen Jugendlichen  verurteilt und eingesperrt werden. 

Der Richter gab zu, dass er beinahe den Forderungen der Staatsanwaltschaft nach einer langen Haftstrafe für den Jugendlichen, dessen Name aufgrund seines Alters nicht bekannt gegeben werden darf, nachgegeben hätte. Letztlich wurde er aber überzeugt durch das Argument der Verteidigung, dass ähnliche Fälle von „ideologischer Gewalt“ bei jüdischen Jugendlichen – wie etwa bei den Siedlerattacken gegen Soldaten – kaum, wenn überhaupt Haftstrafen zur Folge gehabt hätten, sagte er.

„Wenn der Staat der Ansicht ist, dass ideologisch motivierte Straftaten Jugendlicher relativ nachsichtig behandelt werden sollten, dann sollte das für alle Jugendliche gelten ohne Rücksicht auf Nationalität oder Religion.“

Früher in diesem Jahr empfahl das Justizministerium, 40 jüdische Siedler, die wegen Widerstands gegen den Rückzug aus Gaza verurteilt worden waren, zu amnestieren, da ihre Taten “durch eine ungewöhnliche historische Situation hervorgerufen wurden und die Täter keine Verbrecher sind.“ Laut israelischen Medienberichten werden viele der Siedler, die wegen dieser Vorfälle festgenommen worden sind, nie vor Gericht gestellt werden.

Shadmi erteilte dem Jugendlichen aus Nazareth die Weisung, bei einer auf zwei Jahre bedingten Geldstrafe von $ 1.300 keine strafbaren Handlungen gegen die Polizei zu begehen. In einer Vorgangsweise, die in erster Linie für Jugendliche vorgesehen ist, ordnete er an, der Jugendliche müsse 200 Stunden gemeinnützige Arbeit verrichten, ohne ihn zu verurteilen.

Dieser Spruch wurde von der überraschten Familie des Jugendlichen begrüßt. Der Vater sagte zu den israelischen Medien: „Gott sei Dank hatten wir einen Richter wie ihn, der nicht durch Rassismus motiviert ist. Hoffentlich führt das dazu, dass der Staat Israel versteht, dass es an der Zeit ist damit aufzuhören, die arabische Bevölkerung wie Feinde zu behandeln.“

Die Staatsanwaltschaft kündigte an, sie würde gegen die Entscheidung Berufung einlegen.

Gideon Fishman, Soziologieprofessor an der Universität von Haifa, der eine Studie über Strafjustiz in Israel erstellt hatte, sagte, er wisse nichts von einer Forschungsarbeit über diskriminierende Vorgangsweisen von Staatsanwälten gegenüber jugendlichen Straftätern. Er sagte allerdings, er sei sich sicher, dass es da eine systematische Einseitigkeit gebe.

„Der Richter hat recht, dass er seine Stimmer gegen eine Politik erhebt, die milder gegenüber jüdischen jugendlichen Straftätern ist. Diese Politik wird von den Staatsanwälten bewusst verfolgt und nicht zufällig, und sie untergräbt das Vertrauen in das Rechtssystem.“

Richter Shadmi bezog sich nur auf die Diskriminierung im Rahmen der Rechtssprechung an israelischen Gerichten.

Palästinenser aus den okkupierten Territorien werden von israelischen Militärgerichten nach anderen rechtlichen Bestimmungen und Verfahren verurteilt, die von Menschenrechtsgruppen hart kritisiert worden sind.

 
     
  Erschienen am 18. November 2009 auf > http://www.antiwar.com > http://original.antiwar.com/cook/2009/11/17/judge-warns-of-israels-two-tier-legal-system/  
  Dieser Artikel erschien ursprünglich in The National in Abu Dhabi.  
  <<< Inhalt