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  Die Zeitbombe Ägypten tickt 

Die führende Nation der arabischen Welt ist zur politischen und kulturellen Stauzone geworden – und das ist nicht gut

Eric Margolis

Während die geplagten Flugreisenden sich langsam vom großen isländischen Vulkanausbruch erholen, baut sich ein neuer Explosionsherd auf.

Dieses Mal ist es ein politischer, der den gesamten Nahen Osten erschüttern könnte, wo die Gerüchte über einen Krieg, in den die Vereinigten Staaten von Amerika, Syrien, Israel und der Iran verwickelt sind, immer intensiver werden.

Präsident Hosni Mubarak, der von der Vereinigten Staaten von Amerika unterstützte starke Mann, der Ägypten fast dreißig Jahre lang mit eiserner Faust beherrscht hat, ist 81 und sein Gesundheitszustand ist gebrechlich. Er hat keinen designierten Nachfolger.

Mubarak, ein General, kam mit Hilfe der Vereinigten Staaten von Amerika nach der Ermordung von Präsident Anwar Sadat 1981 durch nationalistische Soldaten an die Macht. Sadat war ein „Aktivposten“ der CIA seit 1952.

Mit 82 Millionen Einwohnern ist Ägypten das bevölkerungsreichste und wichtigste arabische Land und Kairo das kulturelle Zentrum der arabischen Welt. Kairo ist auch ein überfülltes Irrenhaus mit 8 Millionen Menschen, deren Zahl sich verdreifacht hat, seit ich als Bub dort gelebt habe.

Wenn man Nordafrika nicht einrechnet, ist einer von drei Arabern ein Ägypter.

Ägypten war einst Herz und Seele der arabischen und muslimischen Welt. Unter Sadats Vorgänger, dem weithin verehrten Nationalisten Gamal Abdel Nasser, führte Ägypten die arabische Welt an. Die Ägypter verachteten Sadat als korrupten Speichellecker des Westens und akzeptierten Mubarak mürrisch.

Nach drei Jahrzehnten unter Mubarak ist Ägypten zur politischen und kulturellen Stauzone geworden. Es spricht Bände, dass Mubarak vor kurzem zur Behandlung seines Darms und der Gallenblase nach Deutschland flog. Nach Milliarden Dollars an Hilfe der Vereinigten Staaten von Amerika konnte Mubarak sich nicht einmal auf ein Spital in der führenden Nation der arabischen Welt verlassen.

Die Vereinigten Staaten von Amerika gewähren Ägypten jährlich US$ 1,3 Milliarden an Militärhilfe, um die Generale bei der Stange zu halten, und rund US$ 700 Millionen Wirtschaftshilfe, nicht eingerechnet geheime Zahlungen der CIA, sowie riesige Mengen von billigem Weizen.

Mubaraks Ägypten ist der Eckstein des nahöstlichen Reichs der Vereinigten Staaten von Amerika. Ägyptens 469.000 Mann starke bewaffneten Streitkräfte, 397.000 Mann paramilitärische Polizei und eine brutale Geheimpolizei halten das Regime an der Macht und brechen jeden Widerstand. 

Obwohl groß, bekommt Ägyptens Militär von Washington kaum moderne Waffen, Munition und Ersatzteile, so dass es keinen Krieg gegen Israel führen kann. Seine einzige Funktion ist es, das von den Vereinigten Staaten von Amerika unterstützte Regime an der Macht zu halten.

Mubarak war lange einer der wichtigsten Verbündeten Israels bei der Bekämpfung islamistischer und nationalistischer Gruppen. Ägypten und Israel arbeiten zusammen beim Einsperren der unter der Führung der Hamas in Gaza lebenden Palästinenser.  

Ägypten baut jetzt mit Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika eine neue Stahlwand an der Grenze zu Gaza. Mubaraks Mauer, die 12 Meter in die Tiefe reichen wird, soll die Tunnels blockieren, auf die die Palästinenser in Gaza zur Versorgung angewiesen sind.

Während Washington gegen Iran und China wegen der Menschrechte wettert, sagt es gar nichts über seinen Klienten Ägypten – wo alle Wahlen gefälscht sind, Gegner des Regimes brutal gefoltert werden und die politische Opposition liquidiert wird. 

Wenn es wollte, könnte Washington eine wirkliche Demokratie in Ägypten einführen, wo es alle Fäden in der Hand hat.

Ayman Nour, der letzte Mann, der es wagte, in einer Wahl gegen den ewigen Mubarak – bei seinen islamistischen Gegnern als „Pharaoh“ bekannt – anzutreten, wurde eingesperrt und gefoltert.

Jetzt, wo es um Mubaraks Gesundheit schlecht bestellt ist, steigen in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Israel die Befürchtungen, sein Tod könnte einen politischen Ausbruch im lange unterdrückten Ägypten zur Folge haben.

Schon seit langem war Mubarak bemüht, seinen Sohn Gamal zu seinem Nachfolger aufzubauen. Aber die Ägypter sind total dagegen. Der mächtige 72 Jahre alte Geheimdienstchef General Omar Suleiman, ein Verbündeter der Vereinigten Staaten von Amerika und Israels, käme auch als starker Mann in Frage. Die CIA wird ebenfalls einen Armee- oder Luftwaffengeneral für das Amt aufbauen.

In Ägypten gibt es kaum eine säkulare politische Opposition. Der wirkliche Gegner des Regimes bleibt die relativ gemäßigte äußerst populäre Islamische Brüderschaft. Diese würde eine freie Wahl aus dem Stand heraus gewinnen. Ihre Führung ist allerdings alt und müde. Die Hälfte der Ägypter ist unter 20. 

Mohammed El-Baradai, der intelligente, prinzipientreue, hoch respektierte ägyptische vormalige Chef der UNO-Atomagentur, fordert wirkliche Demokratie in seinem Heimatland. Er ist ein sehr attraktiver Kandidat für die Führung Ägyptens nach Mubarak.

Washington hofft, dass es einen weiteren gefügigen General an die Macht bringen und die Sicherheitskräfte bei der Stange halten kann, ehe 30 Jahre aufgestauter Wut gegen die Diktatur Mubaraks und Ägyptens politische Entmannung, Hunger nach Veränderung und schreckliche Armut zu einem Vulkanausbruch am Nil führen.

 
     
  erschienen am 25. April 2010 in der TORONTO SUN > http://www.torontosun.com/comment/columnists/eric_margolis/2010/04/23/13697251.html  
     
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