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  Die neue Schlacht um Britannien

Der letztliche Gewinner der britischen Parlamentswahlen wird es mit düsteren Aussichten und der Wut der Wähler zu tun bekommen

Eric Margolis

PARIS - Großbritanniens verwirrende Wahl ohne klares Mehrheitsergebnis geht über die Bühne, während der finanzielle Sturm, der Europa hin- und herwirft, von Tag zu Tag stärker wird. 

Während ich diese Zeilen schreibe, wird erwartet, dass Großbritanniens Konservative 326 Sitze erringen, 19 zu wenig für die Mehrheit im Parlament. Der vom neuen, telegenen Führer der Tories David Cameron erwartete klare Sieg ist nicht zustande gekommen.

Es sieht so aus, als würde die Labour Party des Premierministers Gordon Brown rund 261 Sitze bekommen, was für eine Partei nicht schlecht ist, die 13 Jahre lang an der Macht war und ausgebrannt ist durch Korruptionsskandale, finanzielles Missmanagement und die höchst unpopulären Kriege in Afghanistan und Irak. Der Geist des verhassten ehemaligen Premierministers Tony Blair verfolgt noch immer die Partei.

Der erwartete Star der Wahl, Nick Clegg und seine Liberaldemokraten, sind kläglich gescheitert und brachten es nur auf 54 Sitze. Regionale Parteien kamen auf 27 Parlamentssitze.

Gordon Brown hat das Recht, den Versuch zu unternehmen, mit den Liberaldemokraten eine Koalition zu bilden. Er wird allerdings die Stimmen der regionalen Parteien aus Schottland, Wales oder Nordirland brauchen, um eine Mehrheit zu haben.

Wenn Brown scheitert, werden die Konservativen versuchen, eine Koalition zusammenzubringen. Die rechtsgerichteten Tories sind wie Kreide und Käse, wie die Briten sagen, mit den gemäßigten Liberaldemokraten und den Los-von-London-Parteien.

Mittlerweile spielte sich ein ähnlich wichtiges und wahrscheinlich entscheidenderes politisches Drama in Deutschland ab. Während das Vereinigte Königreich zappelte, war Deutschland aufgerufen, die Europäische Union aus der wachsenden Finanzkrise zu retten, die in Griechenland begann und jetzt andere Mitglieder der Union bedroht.

Die deutschen Wähler sind entschieden gegen ein 29-Milliarden-Hilfspaket zur Rettung des verschwenderischen Griechenlands. Kanzlerin Angela Merkel steht vor einer entscheidenden Wahl im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen gerade zu einem Zeitpunkt, wo die oppositionellen Sozialdemokraten beschlossen haben, gegen die Hilfe für Griechenland zu sein. Merkels Regierung könnte über dem Rettungsplan zusammenbrechen. 

Stärke ist nötig

Eine schwache, unentschlossene Koalitionsregierung steht London ins Haus, gerade wenn eine starke stabile Regierung nötig wäre, um Großbritanniens und Europas wachsende Finanzkrise anzugehen.

Die Wahl wies auch hin auf die weite Kluft zwischen Englands gutgestelltem Tory-Süden und den geplagten Industriegebieten in den Midlands und im Norden. Großbritanniens „andere“ Nationen Schottland, Wales und Nordirland wählten alle nicht die Tories, sondern zumindest bei dieser Wahl die regionalen Parteien.

Wer immer letztlich an die Macht kommt, steht vor düsteren Aussichten und den wütenden Reaktionen der Wähler. Brown und Cameron müssen zerrissen sein zwischen Machtgier und der vernünftigen Entscheidung, die wirtschaftlichen Probleme des Vereinigten Königreichs dem politischen Gegner zu überlassen.

In Zeiten wie diesen Premierminister zu sein bedeutet politisches Harakiri.

Die Labour-Partei unter Tony Blair und Gordon Brown schädigte die einst robuste britische Wirtschaft ernsthaft. Die Staatsschulden des Vereinigten Königreichs explodierten von 350 Milliarden Pfund auf 870 Milliarden unter der Labour-Regierung, eine finanzielle Orgie ähnlich der von Kanadas Anhäufung massiver Schulden in den Jahren der Regierung Trudeau.

„Borge Britannien“ hat „herrsche Britannien“ ersetzt. Zwei katastrophale Weltkriege und die Anmaßung, eine Weltmacht zu bleiben, haben Großbritannien in eine tödliche Schuldenspirale gestürzt.

Großbritanniens Schulden machen jetzt 90% des Bruttoinlandsprodukts aus, der höchste Stand seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Vereinigte Königreich hat einen Berg neuer Schulden aus den Rettungsaktionen für die Banken und laufenden Kriegskosten. Die Europäische Kommission hat gerade gewarnt, dass bei Jahresende der Zustand der britischen Wirtschaft der schlechteste aller EU-Mitglieder sein wird – einschließlich Griechenlands.

Die neue Regierung in London muss schnell 38 Milliarden Pfund einsparen, um einer umfassenden Schuldenkrise zuvorzukommen. Das bedeutet schwere Einschnitte bei Bildung, beim bereits knirschenden nationalen Gesundheitswesen, bei Verteidigung, Pensionen, Landwirtschaft, Eisenbahnen und anderen populären Programmen. Die 62 Millionen Einwohner des Vereinigten Königreichs werden wütend sein. Die Aufstände, die wir zur Zeit in Athen erleben, könnten auch in London oder Manchester ausbrechen. 

Vor nur drei Jahren wurden die Vereinigten Staaten von Amerika und das Vereinigte Königreich gepriesen als Vorbilder des neuen „angelsächsischen“ Modells der freien Märkte und des schnellen Geschäfts. Heute sehen wir, dass ihre angebliche Prosperität ein Betrug war, angeheizt von außer Kontrolle geratenen Schulden und Spekulationen.

Großbritanniens bevorstehende Finanzkrise könnte zu einer neuen Welle der Panik auf den globalen Märkten führen. Das weit überbewertete Pfund Sterling wird bald unter Beschuss kommen.

Vergessen Sie die Mythen des Zweiten Weltkriegs. Die Briten könnten bald die Deutschen betteln müssen, sie in dieser neuen Schlacht um Britannien zu retten.

 
     
  erschienen am 9. Mai 2010 in der TORONTO SUN > http://www.torontosun.com/comment/columnists/eric_margolis/2010/05/07/13868916.html  
     
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