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  Schlussfolgerungen aus einem sinnlosen Krieg

Robert Koehler 

Was bedeutet es, wenn die New York Times anlässlich Präsident Obamas Ankündigung des Abbaus von Kampftruppen im Irak unsere siebeneinhalb Jahre lang dauernde Invasion und Okkupation dieses Landes als „einen sinnlosen Krieg“ bezeichnet?

Der Leitartikel tat auch etwas, das vermeiden zu müssen Obama selbst unter großem politischem Druck zu stehen schien: Er nagelte seinen Vorgänger fest, vielleicht mild, aber doch einige Male in dem 645 Wörter langen Artikel: „der Krieg machte Amerika weniger sicher,“ „es ist wichtig, nicht zu vergessen, wieviel Schaden Herr Bush verursacht hat, indem er die Amerikaner auf den falschen Weg brachte,“ usw. Der Leitartikel gestand sogar eine Zahl der irakischen Toten ein: „mindestens 100.000.“ 

Warum ich nur wenig begeistert – sogar beunruhigt – bin über diesen Beweis der Missbilligung dieses verheerenden Krieges durch ein bedeutendes Medium, der dermaßen große Unterstützung bei seinem blutigen Shock and Awe-Auftakt bekommen hat? Während Obama sagte, es sei an der Zeit, in Sachen Irak „die nächste Seite aufzuschlagen,“ finden es die New York Times und die Bevölkerungsgruppe, die sie repräsentiert, offenbar angebracht, diesen gleichsam zusammenzuräumen und in den Mülleimer der Geschichte zu werfen. Und so, obwohl 50.000 Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika vulgo „Berater“ in dem zertrümmerten Land bleiben und unsere Verpflichtung, geschweige denn unsere Verantwortung, noch lange nicht aus der Welt geschafft ist, wurde der Irakkrieg offiziell übereinstimmend zum Fehler erklärt, in einer Reihe mit Vietnam.

Davon ausgehend, dass ich dem Leitartikel zustimme, wundere ich mich, wie sehr er mich aufregt. Vielleicht ist das, was mich beunruhigt, die unbeachtete Ungeheuerlichkeit des Begriffs „sinnloser Krieg“ und die einfache, folgenlose Zuweisung der Schuld an George Bush und seinen inneren Kreis. Zwischen den Zeilen spüre ich den Drang weiterzumachen, nichts zu lernen, Stolpersteine in die heimtückische Verbreitung der Zuweisung von Verantwortung zu werfen (mein Gott, was ist, wenn es uns auch erwischt?). Besser unsere Verluste einschränken als das Verteidigungsbudget zu kürzen.

Aber das waren immerhin $ 3 Billionen für sinnlosen Krieg, der ein verwüstetes und vergiftetes Land hinterlassen hat, mit Millionen vertriebener Menschen, steigenden Raten von Krebs und Missgeburten, „mindestens“ 100.000, nach anderen Schätzungen über einer Million getöteten Irakern. Wenn wir schon zu dem Punkt gekommen sind, an dem wir zugeben, dass der Krieg ein „Fehler“ war, dass die ganze Schlächterei, all das vergossene Blut und die vernichteten Güter „sinnlos“ waren, wäre da nicht eine Art Besinnung gefragt – eine Pause bei den Operationen der Regierung, eine nationale Gewissenserforschung, eine Untersuchung? Wie in Gottes Namen kann die größte Militärmaschinerie in der Geschichte der Menschheit dazu gebracht werden, einen sinnlosen Krieg zu führen? 

Und weiter, worin besteht unsere Sühne? Wenn wir gerade einen Krieg sinnloser Aggression geführt haben und dabei zwischen 100.000 und 1.000.000 Menschen getötet haben, wer sind wir denn? Sind wir fähig, das wieder zu machen? Irgendwie wäscht es uns nicht rein, wenn wir die ganze Schuld auf einen verlogenen Präsidenten schieben, der es geschafft hat, ein ganzes Heer investigativer Journalisten und eine unschuldige, treuherzige Öffentlichkeit zu täuschen.

Wenn das wirklich die Erklärung ist, würde ich das als kriminelle Naivität an jeder Facette des amerikanischen Gesellschaft bezeichnen, beginnend mit den Medien, die sich selbst darauf eingelassen haben, einen sinnlosen Krieg zu unterstützen und weiterhin zu unterstützen. Außer unserem schändlichen Truppenabbau im Irak sehe ich auch keine besondere Änderung. Wir glauben noch immer an das Militär als Beschützer unserer Sicherheit und warten auf den nächsten Krieg, indem wir uns herumschieben und mit einer hilflosen Gutgläubigkeit an der Nase führen lassen, die P.T.Barnum (Betreiber des Zirkus Barnum) Freude machen würde.

Tom Engelhardt, der neulich auf TomDispatch.com über „das anhaltende Wachstum des Pentagons und seines Einflusses“ schrieb, erwähnt die Ironie der Tatsache, dass „obwohl das Militär der Vereinigten Staaten von Amerika es immer wieder nicht geschafft hat, Kriege zu gewinnen, seine Budgets immer gigantischer gewachsen sind, sein Einfluss in Washington immer größer und seine Macht zuhause immer offenkundiger geworden sind.“ 

Er fährt fort: „In Irak, Afghanistan und anderswo kann man sehen, dass diese Pentagon-Version einer amerikanischen Außenpolitik darum kämpft, sich durchzusetzen. Letztlich könnte es natürlich zu einer Totgeburt kommen, aber es könnte sich auch ein allumfassendes System entwickeln, das den Amerikanern eine seltsam verzerrte Sichtweise einer Welt liefert, die sich ständig im Krieg befindet, und der Wichtigkeit, sich auf mehr desselben vorzubereiten.“  

Militärisch-industrieller Kapitalismus, mit seiner arroganten Geringschätzung der Folgen seiner Aktivitäten für Menschen und Umwelt, kann nur eine beschränkte Laufzeit auf dem Planeten Erde haben, aber er weiß das nicht und verfügt über keinen inneren Mechanismus der Selbstbeschränkung. Wenn wir auf seinen natürlichen Zusammenbruch warten, werden wir alle mit ihm untergehen. Ich würde das als Alarmstufe Rot bezeichnen, meine Damen und Herren. 

Aber vielleicht öffnet sich eine Tür. Hier noch einmal die Frage, die ich am Anfang diese Artikels stellte. Was bedeutet es, wenn die New York Times die irakische Katastrophe als sinnlosen Krieg bezeichnet? Ich weiß, was das bedeuten soll: dass diese Erkenntnis dazu führt, dass ein Aufbruch eines verantwortungsbewussten Journalismus bei den Massenmedien erfolgt, beginnend mit der Einschränkung des militärischen und in Ungnade gefallenen neokonservativen Einflusses auf das, was als Neuigkeiten berichtet wird.

Sogar das ist zuviel der Hoffnung, natürlich, aber wir müssen es immerhin fordern, während wir auf den neunten Jahrestag des 9/11 zuwanken, inmitten der heulenden Kräfte von Furcht und Hass, die diesen Tag der Besinnung militarisieren möchten und zu einer großen Gelegenheit umwandeln, mehr Feinde zu machen und unsere Ignoranz und Isolation zu feiern.

 
     
  Erschienen am 9. September 2010 auf > http://www.antiwar.com > Artikel und HUFFINGTON POST > Artikel  
     
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