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  Hat ´merika eine Kultur?

Paul Craig Roberts

Es heißt, dass die Kultur der Vereinigten Staaten von Amerika eine Jugendkultur ist, die durch Unterhaltungsbegriffe definiert ist: Sex, Rockmusik und/oder deren aktuelles Pendant, gewaltträchtige Videospiele, Sport und TV-Realityshows. Diese Kultur hat das Land verändert und scheint dabei zu sein, den Rest der Welt zu verändern. Es gibt sogar Hinweise, dass die säkularisierte arabische und iranische Jugend es gar nicht mehr erwarten kann, bis sie befreit wird und an dieser Kultur des Porno-Rock teilhaben kann.

Amerikas frühere Kultur – verantwortliche Regierung, Rechtsstaat und Unschuldsvermutung, Respekt vor anderen, vor Grundsätzen und Manieren – ist auf der Strecke geblieben. Viele Amerikaner, besonders die jüngeren, haben keine Ahnung, was sie verloren haben, weil sie nicht kennen, was sie hatten.  

Das wurde mir wieder einmal bewusst aufgrund einiger Leserreaktionen auf meine neueren Kommentare, in denen ich ausführte, dass Strauss-Kahn, dem (jetzt ehemaligen) Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Unschuldsvermutung vorenthalten wurde, nachdem er beschuldigt worden war, ein Zimmermädchen sexuell belästigt zu haben. Ich schrieb, dass der Rechtsgrundsatz, dass unschuldig ist, wessen Schuld nicht erwiesen ist, von der Polizei und von den Medien verletzt wurde, und dass Strauss-Kahn von den Medien nicht nur vor seiner gerichtlichen Verurteilung, sondern schon vor der Erhebung einer Anklage gegen ihn verurteilt worden ist.   

Aus den Leserbriefen erfuhr ich, dass es Menschen gibt, die nicht wissen, dass ein Verdächtigter unschuldig ist, bis er in einem öffentlichen Verfahren aufgrund von Beweisen für schuldig befunden wird. Einer schrieb zum Beispiel: „wäre er nicht schuldig, würde er nicht angeklagt.“ Einige meinten, dass ich durch die Erwähnung der „Unschuldsvermutung“ sagte, dass Strauss-Kahn unschuldig sei. Es wurde mir vorgeworfen, dass ich ein Frauenhasser sei, und feministische Lektionen wurden mir erteilt. Einige amerikanische Frauen sind vertrauter mit den feministischen Mantras als mit den rechtlichen Prinzipien, die das Fundament unserer Gesellschaft bilden.

Viele Männer brachten meine Verteidigung der Unschuldsvermutung mit einer Verteidigung Strauss-Kahns durcheinander, oder wenn ihnen „unschuldig bis schuldig gesprochen“ bekannt war, kümmerten sie sich nicht drum. Rechtsstehende wollten Strauss-Kahn aus dem Spiel haben, weil dieser der Kandidat der sozialistischen Partei und dabei war, die amerikanische Marionette Sarkozy in der französischen Präsidentschaftswahl zu schlagen. Mit Sarkozy hat Washington endlich einen französischen Präsidenten, der jegliches Interesse an einer unabhängigen oder teilweise unabhängigen französischen Außenpolitik verworfen hat. Habe ich nicht mitbekommen, dass, wenn wir Sakozy verloren, die Franzosen es sich überlegen und nicht mehr bei unseren Überfällen mitmachen könnten, wie sie sich etwa damals geweigert haben, als es gegen Saddam Hussein ging? Mit Sarkozy spuren die Franzosen in Libyen. Wie konnte ich nur denken, dass Strauss-Kahn und ein dummes Rechtsprinzip wie die Unschuldsvermutung wichtiger sind als die französische Unterstützung für unsere Kriege? 

Viele Linke machen sich genauso wenig aus einem Rechtsprizip, das die Unschuldigen schützt. Sie wollten Strauss-Kahns Blut, weil er ein reiches Mitglied des Establishments ist und als IWF-Direktor die Armen in Griechenland, Irland und Spanien für die Fehler der Reichen zur Kasse gebeten hat. Was meinte ich mit „Unschuldsvermutung“? Wie soll ein Mitglied der herrschenden Klasse unschuldig sein können? Ein Linker schrieb sogar, dass ich „ins Tippen zurück verfallen“ sei und dass mein Geplapper über die Unschuldsvermutung beweist, dass ich noch immer ein Reaganist bin, der die Reichen gegen die Konsequenzen ihrer Verbrechen verteidigt.   

Offensichtlich brachte ich die Feministin, den Rechten oder den Linken nicht dazu, sich darüber Gedanken zu machen, was denn ihnen blühen werde, wenn einem dermaßen mächtigen Mitglied des Establisments, wie es Strauss-Kahn ihrer Ansicht nach ist, die Unschuldsvermutung vorenthalten werden kann.

Selbständiges Denken ist kein Konzept, mit dem sehr viele Amerikaner vertraut sind oder mit dem sie sich wohl fühlen. Die meisten wollen, dass ihre Emotionen gestreichelt werden, dass man ihnen sagt, was sie hören wollen. Sie wissen bereits, was sie denken. Die Aufgabe eines Schreibers ist, das zu bestätigen, und wenn der Schreiber das nicht macht, ist er je nach ideologischer Ausrichtung des Lesers ein Frauenhasser, ein pinko-liberaler Kommunist oder ein Agent des faschistischen Establishments. Alle werden sich allerdings einig sein, dass er ein mieser Hundesohn ist. 

Schon vor einiger Zeit schrieb ich, dass die Achtung vor der Wahrheit zusammengebrochen ist und alles mit sich niedergerissen hat. 

 
     
  erschienen am 24. Mai 2011 auf > www.foreignpolicyjournal.com > Artikel  
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