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  Die Demontage des Internationalen Rechts als neue Strategie der globalen Elite

Alexander Mezyaev

Wie viele Beine hat ein Hund, wenn man den Schwanz als Bein bezeichnet?Vier. Einen Schwanz als Bein zu bezeichnen macht kein Bein daraus.“ (Abraham Lincoln)

Während der Krieg gegen Libyen tobt, entfaltet sich eine weitere Aggression, die möglicherweise eine neue Phase in der Geschichte des Internationalen Rechts kennzeichnet. Am 5. April unternahm das französische Militär einen Angriff mit dem Ziel, den legitimen Präsidenten von Elfenbeinküste Laurent Gbagbo festzunehmen. Gemäß einigen Berichten verhandelt der eingekreiste Gbagbo über die Bedingungen für seine Kapitulation, laut anderen wischte er die Behauptung, dass die Machtübergabe an seinen Widersacher Alassane Outtara absehbar sei, als Falschinformation beiseite und bleibt bei seiner Beteuerung, dass er die letzte Wahl in Elfenbeinküste gewonnen hat. 

Das erste Mal seit 1961, als belgische Soldaten unter der Fahne der UNO im Kongo Patrice Lumumba ermordeten, beteiligten sich in Elfenbeinküste UNO-„Friedenstruppen“ offen am Sturz eines legitimen Anführers eines souveränen Landes.

Die Medien des Westens und ihre russischen Nachplapperer überschwemmen die Zuhörer mit Behauptungen, dass Gbagbo die Wahlen 2010 verloren habe und deswegen zurücktreten solle. Ihr Hauptargument – der Vorsitzende der Wahlkommission habe Outtara zum Sieger erklärt – ignoriert die Tatsache, dass in Elfenbeinküste nicht die Wahlkommission, sondern der Verfassungsrat für die Entscheidung zuständig ist, wer im Kampf um das Präsidentenamt gesiegt hat, falls das Wahlergebnis in Frage gestellt ist. Der Verfassungsrat sprach den Sieg Gbagbo zu, was nichts anderes heißt, als dass er noch immer der legitime Präsident von Elfenbeinküste ist und dass die Offensive mit dem Ziel, ihn zu vertreiben, eine eindeutige Aggression darstellt.

Afrika scheint zum Übungsgebiet für verdächtige Neuerungen im Bereich des Internationalen Rechts geworden zu sein. Die Ermittlungstätigkeiten des 2003 gegründeten Internationalen Strafgerichtshofs blieben zum Beispiel bisher gänzlich auf diesen Kontinent beschränkt. Man bekommt den Eindruck, dass das neue Szenario – Wahlen unter völliger Kontrolle der UNO, die natürlich zu vorhersehbaren Ergebnisse führen – in Afrika getestet wird, vor man es in anderen Teilen der Welt anwendet. Im Gegensatz zu einer Reihe von bisherigen Wahlen wird die Beteiligung der UNO nicht auf die Überwachung beschränkt bleiben – unter den vorgesehenen Rahmenbedingungen wird die UNO die Finanzierung der Wahlen bereitstellen und alle Aspekte des Vorgangs fest im Griff haben. In Elfenbeinküste schafften es die von der UNO kontrollierten Wahlen einfach nicht, den bevorzugten Kandidaten an die Macht zu bringen, nachdem Outtara, ein höherer Funktionär des Weltwährungsfonds von 1968 – 1998, von Gbagbo übertroffen wurde. Die Wut über das verbockte Experiment erklärt weitgehend die harte Vorgangsweise der internationalen Gemeinschaft in Elfenbeinküste. Zur Zeit ist das Land Schauplatz grausamer Kämpfe mit zahlreichen Opfern unter den Anhängern Gbagbos wie auch unter den Gegnern.   

In einem Versuch, das in Elfenbeinküste inszenierte Experiment zu vervollständigen, eröffnete der Internationale Strafgerichtshof gegen Gbagbo ein Verfahren wegen Völkermordes. Am 30. März beschloss der UN-Sicherheitsrat schließlich die Resolution 1975 mit Sanktionen gegen die Regierung von Elfenbeinküste und – beispiellos für das Internationale Recht – mit der Erklärung, dass die Präsidentschaft des amtierenden Präsidenten unrechtmäßig sei, ohne irgendwelche Gründe für diese Beurteilung anzuführen.

Es ist ein klarer Verstoß gegen die Verpflichtung der UNO zur Neutralität, dass die UNO-„Friedens“truppen sich über ihren Auftrag hinwegsetzten und sich an der Jagd gegen den Präsidenten von Elfenbeinküste beteiligten. Genau genommen ist die Neutralität der UNO-Mission in Elfenbeinküste degeneriert zu einem Märchen aus alten Zeiten, und noch mehr, sind die friedenserhaltenden Einsätze der UNO eine Erfindung, die zwar in der ganzen Welt aus Gewohnheit als normal angesehen wird, durch die UNO-Charta aber nicht gedeckt ist. Der UN-Sicherheitsrat begründete den Einsatz in Elfenbeinküste durch die Resolution vom Februar 2004 mit einem großzügigen Hinweis auf Kapitel VII der UNO-Charta, ohne einen speziellen Paragrafen oder Absatz darin anzuführen. Das ist so, wie wenn ein Gericht ein Urteil verhängt unter Berufung auf das gesamte Strafgesetz, ohne die Beschuldigungen mit Verletzungen bestimmter Gesetze in Verbindung zu bringen. Anders gesagt, es gab keine legale Deckung welcher Art auch immer für die Einrichtung der UNO-„Friedens“mission in Elfenbeinküste.

Der einzige Grund, aus dem seit dem berüchtigten Verbrechen 1961 im Kongo der zweifelhafte legale Charakter der UNO-„Friedens“missionen unangefochten blieb, ist dass diese bis vor kurzem in souveränen Ländern aufgrund von Ansuchen von deren Regierung oder zumindest mit der Zustimmung der örtlichen Regierung stattgefunden haben. In Elfenbeinküste verlangte die Regierung, die Mission zu beenden, der UNO-Generalsekretär zog es allerdings vor, das Problem dadurch zu lösen, dass er den rechtmäßigen Status Gbagbos in Abrede stellte. 

Die internationale Reaktion auf Gbagbos Bemühungen in Richtung einer friedlichen Beilegung der Krise zeigte, bis zu welchem Ausmaß die Drahtzieher dieses Experiments in Elfenbeinküste darauf eingestellt waren, Alternativen zu ihrem Plan zu tolerieren. Gbagbos Angebot, die Stimmen neu auszuzählen, führte zu einer aufgebrachten Stellungnahme des UNO-Generalsekretärs, wahrscheinlich weil dieser sich keine Illusionen darüber machte, wieviele Stimmen der Rivale wirklich bekommen hatte. Von Anfang an war Outtara der einzige akzeptable Kandidat. 

Was die derzeitigen Ereignisse in Elfenbeinküste zu einem ganz neuen Phämomen macht ist, dass während in der Vergangenheit vom Ausland unterstützte Staatsstreiche als Verstöße gegen das Internationale Recht aufgefasst wurden und der Aggressor nicht mit der Unterstützung des UN-Sicherheitsrats rechnen konnte, man sich heutzutage auf das Internationale Recht beruft, um Aggression zu rechtfertigen. Der Trend nimmt gerade Gestalt an: die Aggression gegen Libyen bekam die Zustimmung der UNO und kurz darauf wurde die Aggression gegen Elfenbeinküste von der UNO selbst betrieben. Das Internationale Recht dient nicht länger dazu, die internationalen Beziehungen zu stabilisieren. In den vergangenen sechs Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war der Begriff „Internationales Recht“ positiv besetzt, und – obwohl wir fast aufgehört haben, uns das vor Augen zu halten – hat sich die Situation zu einer radikalen Abkehr von der kolonialistischen Epoche entwickelt, zu welcher die Welt zur Zeit zurückkehrt. In der kolonialistischen Epoche ermöglichte das internationale Recht routinemäßig Landgewinne und sanktionierte Aggressionen (wie in dem Gesetz von Krieg und Frieden von Hugo Grotius und den kolonialistischen internationalen Gesetzgebungen des 19. Jahrhunderts).    

Der Konflikt in Elfenbeinküste bildet einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des 21. Jahrhunderts. Zum ersten Mal seit 1945, als der Triumph der Menschheit über den Faschismus das Zeitalter eines fortschrittlichen Internationalen Rechts einleitete, scheint die Entwicklung nach rückwärts zu gehen. Die Offensive in Elfenbeinküste ist eine sorgfältig geplante Operation, die darauf gerichtet ist, die Grundsätze des Internationalen Rechts und der Weltordnung zu demontieren. Was dabei herauskommt, ist nicht ein Gesetzesbruch, sondern eine radikale Änderung in Richtung eines Niederwalzens der Weltordnung. Wir sind Zeugen des Heraufdämmerns einer finsteren neuen Epoche, welche droht, das System des Internationalen Rechts insgesamt abzuschaffen.  

 
     
  erschienen am 6. April 2011 auf > www.strategic-culture.org > Artikel  
  s. auch: Marjorie Cohn - Die „Verpflichtung zu schützen” – Die Fälle Libyen und Elfenbeinküste  
  Für diejenigen, die eine Ahnung bekommen möchten, was die Mächte des Westens unter der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika in Afrika so treiben, empfehle ich dieses Buch, das unter den folgenden Links im Internet zu finden ist > Robin Philpot: Ruanda 1994 - der Kolonialismus stirbt langsam, darin ein besonders lesenswertes Kapitel > über den Rassismus in der Literatur  
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