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  Eine Kultur der Täuschung

Paul Craig Roberts

 

Den größten Verdruss bereiten dem Schreibenden Leser, die reflexartige Antworten von sich geben. Natürlich sind das nicht alle Leser. Einige Leser denken nach und geben Unterstützung. Andere bedanken sich, weil ihre Augen geöffnet worden sind. Die Mehrheit ist jedoch zufrieden, wenn ein Autor ihr sagt, was sie hören will, und ist unzufrieden, wenn er schreibt, was sie nicht hören will. 

Für die Linke ist Ronald Reagan der große Buhmann. Die Linken verstehen die angebotsorientierte Wirtschaft nicht als makroökonomische Innovation, die die Stagflation bewältigte, indem sie die Auswirkungen der Steuerpolitik auf kumulierte Nachfrage nutzte. Stattdessen sehen sie „Tröpfelwirtschaft“ und Steuerkürzungen für die Reichen. Linke verstehen nicht, dass die Reagan-Administration in Grenada und Nicaragua intervenierte, um den Sowjets zu signalisieren, dass es keine sowjetische Expansion oder neue Klientenstaaten mehr geben würde und dass es Zeit sei, über das Ende des Kalten Krieges zu verhandeln. Stattdessen betrachten Linke Reagan als Verursacher der Herrschaft des einen Prozents und der Kriege der Neokonservativen um die Weltherrschaft der Vereinigten Staaten von Amerika.

1981 bedeutete Einschränkung der Inflation den Zusammenbruch des nominellen Bruttosozialprodukts und der Steuereinkommen. Das Ergebnis wären Budgetdefizite – ein Dorn im Auge von Republikanern – während der Zeit der Neukonsolidierung gewesen. Den Kalten Krieg zu beenden bedeutete den Militär/Sicherheitskomplex zu beschneiden und beschwor in konservativen Kreisen das Gespenst des „Antichrist“ Gorbatschow, der Reagan hinters Licht führte und die Weltherrschaft übernahm.

Bei der Verfolgung seiner beiden Hauptziele stand Reagan im Widerspruch zu seiner eigenen Wählerschaft und verließ sich auf Rhetorik, um seine Wählerschaft bei der Stange zu halten. Die Linke hörte die Rhetorik, verstand aber nicht, was in Wirklichkeit getan wurde.

Wenn ich diese Fakten erläutere, die einfach und reichlich dokumentiert sind, senden einige links Eingestellte herablassende und beleidigende e-mails, in denen sie mir mitteilen, dass sie sich auf den Tag freuen, an dem ich aufhöre, bezüglich Reagans zu lügen und über Reagan die Wahrheit sage wie über alles andere.

„Reflexartig liberal“ ist ein Lieblingssager von Konservativen. Konservative können allerdings genau so reflexartig sein. Wenn ich mich gegen Washingtons Kriege, die Folterung von Gefangenen und die Aufhebung von Bürgerrechten äußere, sagen mir einige von den Rechten, dass ich, wenn ich Amerika so sehr hasse, nach Kuba gehen soll. Viele Republikaner können einfach nicht verstehen, dass wenn Bürgerrechte der willkürlichen Entscheidung der Regierung unterliegen, es keine bürgerlichen Freiheiten mehr gibt. Das fahnenschwenkende Element der Bevölkerung neigt dazu, Loyalität gegenüber dem Land mit Loyalität gegenüber der Regierung zu verwechseln, natürlich außer es sitzt ein Demokrat im Weißen Haus.

Rational macht es für Leser keinen Sinn zu glauben, dass ein Autor, der sie in einer Angelegenheit belügt, ihnen über eine andere die Wahrheit sagen wird. Aber so lange sie hören, was sie hören wollen, ist es die Wahrheit. Wenn sie es nicht hören wollen, ist es eine Lüge. 

Beide, Rechte wie Linke, verwechseln auch Erläuterungen mit Rechtfertigungen.

Wenn ein Autor über die Gefahren schreibt, denen wir als Gesellschaft ausgesetzt sind und deren Auswirkungen, dann ist es sehr entmutigend für den Autor, wenn er weiß, dass viele Leser nicht zuhören, außer wenn es das ist, was sie hören wollen. Diese Entmutigung ist genau das, was keinem, der die Wahrheit sagt, erspart bleibt, weshalb es auch nur so wenige gibt, die das tun.

Das ist ein Grund dafür, dass ich vor ein paar Jahren mit dem Schreiben aufhörte. Ich fand, dass solide Fakten und einwandfreie Analyse nicht in gehirngewaschene und geschlossene Ansichten eindringen konnten, die nach Rechtfertigung suchten, um das Weltbild fest verschlossen zu halten gegenüber beunruhigenden Wahrheiten. Amerikaner wollen lieber eine Rechtfertigung ihrer Glaubensvorstellungen als die Wahrheit. Der Erfolg von Zeitungs- und TV-Experten beruht auf der Verbindung mit einer prominenten Ansicht oder Interessengruppe, der man dient. Diejenigen, denen er dient, machen den Schreiber oder Redner erfolgreich. Ich habe nie viel von dieser Art von Erfolg gehalten. 

Erfolg als Hure ist jedoch die einzige Art von Erfolg, die heutzutage in Washington oder in den Medien vorkommen kann. Diejenigen, die sich weigern sich zu prostituieren, erregen Bedauern und Anprangerung, nicht Bewunderung. Vor ein paar Jahren rief mich ein Bekannter aus der Studienzeit an einer Universität im Nordosten an, um mir zu sagen, dass er vor kurzem mit einigen meiner ehemaligen Kollegen in Washington beim Lunch war. Als er sich nach mir erkundigte, bekam er die Antwort: „der arme Craig, wäre er nicht zum Kritiker geworden, wäre er zig Millionen Dollars wert wie wir.“

Ich antwortete, dass meine ehemaligen Kollegen zwifellos recht hatten. Mein Bekannter sagte, er habe nicht mitbekommen, dass er mit einem Haufen von Prostituierten beim Lunch gesessen sei.

Der Anreiz dafür, die Wahrheit zu sagen und die Belohnung dafür, dass man das macht, sind sehr dürftig. Und das nicht nur für Autoren, sondern auch für Wissenschaftler und Experten, die viel mehr Geld verdienen können, wenn sie lügen, als wenn sie die Wahrheit sagen. Wie sonst hätten wir es zu genmanipulierten Organismen gebracht, zur Auslagerung von Arbeitsplätzen, zur „unitären Exekutive“ und zu einem deregulierten Finanzsystem? Eine sehr lukrative Karriere lässt sich machen, wenn man als Experte bei zivilen Gerichtsverfahren aussagt. Es ist Teil der amerikanischen Romanze mit der Lüge, dass Experten, die von den Kontrahenten in einem Zivilverfahren gekauft werden, wie die Gladiatoren kämpfen, die auf das „Daumen nach oben“ von der Jury aus sind. 

Oder nehmen wir den Kongress. Die zwei Abgeordneten, die für die Verfassung und Wahrheit in der Regierung aufgestanden sind, werden bald gegangen sein. Ron Paul tritt zurück, und Dennis Kucinich wurde abgewählt. Was den Senat betrifft, so stimmten diese umsichtigen Persönlichkeiten mit 90:1 dafür, dem Iran den Krieg zu erklären, wie der einzige Abweichler, Rand Paul, ausführte. Der Senat ist sich sehr wohl bewusst, obwohl nur wenige das öffentlich zugeben werden, dass die Vereinigten Staaten von Amerika völlig frustriert und in ein Patt, wenn nicht in eine Niederlage in Afghanistan geraten und nicht imstande sind, die Taliban zu unterwerfen. Ungeachtet dessen will der Senat einen Krieg gegen den Iran, einen Krieg, welcher leicht noch viel weniger erfolgreich verlaufen könnte. Offensichtlich belügt der Senat nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch sich selbst.

Letzte Woche ließ der Chef des Pentagons Panetta China wissen, dass die neuen Marine-, Luftwaffen und Heeresstützpunkte rund um China nicht gegen China gerichtet sind. Was sonst könnte der Zweck der neuen Stützpunkte sein? Washington ist so ans Lügen gewöhnt und dass ihm geglaubt wird, dass Panetta in der Tat glaubt, dass China seine völlig durchsichtige Lüge glauben wird. Panetta hat China mit den Amerikanern verwechselt: Sag ihnen, was sie hören wollen, und sie werden es glauben.

Amerikaner leben in einer Matrix von Lügen. Sie haben es selten mit einer wahrheitsgemäßen Aussage zu tun. Es gibt keinen Beweis, dass die Amerikaner noch den Unterschied zwischen der Wahrheit und einer Lüge erkennen können. Die Amerikaner gingen diesen und noch mehr Lügen auf den Leim: Saddam Hussein hat Massenvernichtungswaffen und Beziehungen zu al Qaeda. Saddam Husseins Soldaten nahmen in Kuwait Babies aus Incubatoren und warfen sie auf den Boden. Gaddafi gab seinen Soldaten Viagra, damit sie besser libysche Frauen vergewaltigen konnten. Iran betreibt ein Atomwaffenprogramm. Change – yes we can!

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind „das unentbehrliche Land.“ Amerika ist pleite aufgrund von Lebensmittelmarken und Sozialhilfe, nicht aufgrund von Kriegen, Bankster-Freikäufen und einer versagenden Wirtschaft. Russland ist Amerikas Feind Nummer eins. China ist Amerikas Feind Nummer eins. Iran ist ein terroristischer Staat. Auslagerung von Arbeitsplätzen ist freier Markt und gut für die Wirtschaft der Vereinigten Staaten von Amerika. Israel ist Amerikas loyalster Verbündeter. Die Raketenstellungen der Vereinigten Staaten, die Russland umgeben, sind nicht gegen Russland gerichtet. Das Südchinesische Meer ist für die Vereinigten Staaten von Amerika ein Gebiet von nationalem Interesse. Finanzmärkte regulieren sich selbst.

Die Liste hat kein Ende. Lügen dominieren jede politische Diskussion, jede politische Entscheidung. Die erfolgreichsten Menschen in Amerika sind Lügner.

Die endlosen Lügen haben zu einer Kultur der Täuschung geführt. Und das ist es, warum Amerika verloren ist. Die Überzeugungen vieler Amerikaner, vielleicht einer Mehrheit, bestehen aus Lügen. Diese Überzeugungen sind zu emotionalen Krücken geworden, und die Amerikaner werden kämpfen, um die Lügen zu verteidigen, die sie glauben. Die Unfähigkeit der Amerikaner, Fakten zu akzeptieren, die ihren Überzeugungen widersprechen, ist der Grund dafür, dass das Land führungslos ist und bleiben wird. Wenn nicht die Schuppen von den Augen der Amerikaner fallen, sind die Amerikaner verloren.

     
  erschienen am 27. September 2012 auf > Paul Craig Roberts Website  
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