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  Edward Snowden ist kein Verräter

Warum Beschuldigungen wegen Verrats gegen den NSA-Whistleblower nicht aufrechterhalten werden können

Philip Giraldi 

 

Eine Reihe von Geschichten werden von den üblichen Verdächtigen in die Runde geschickt, mit denen sie zu beweisen versuchen, dass Edward Snowden ein Verräter ist, der Geheimnisse verraten hat, die lebenswichtig für die Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika sind. Alle ihre Argumente sind für die Füchse. Snowden hat unbestreitbar gegen seine Verpflichtung verstossen, Geheiminformation zu schützen, und das ist ein Delikt. Aber in Wirklichkeit hat er nur ein tatsächliches Geheimnis enthüllt, das zählt, nämlich die schwere Verletzung der Vierten Zusatzbestimmung der Verfassung durch die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, durch deren Sammlung von persönlicher Information von Millionen unschuldiger amerikanischer Bürger ohne einen vernünftigen Grund oder gerichtliche Genehmigung.

Das macht Snowden zu einem Whistleblower, da er illegale Tätigkeit auf Seiten der Bundesregierung aufdeckt. Der Schaden, den er angerichtet hat, betrifft nicht die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika, sondern die Politiker und Spitzenbeamten, die die illegale Tätigkeit angeordnet, geleitet, mitgetragen und stillschweigend geduldet haben.

In erster Linie wird die Verratsbeschuldigung erhoben von solchen Rechtsexperten wie dem ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney, Sprecher des Repräsentantenhauses John Boehner und Senatorin Dianne Feinstein. Die Kritiker sagen, dass Snowden Verrat begangen hat, weil er geheimdienstliche Fähigkeiten der Vereinigten Staaten von Amerika Gruppierungen wie al-Qaeda enthüllt hat, mit denen sich die Vereinigten Staaten von Amerika im Krieg befinden. Verrat ist in der Tat das einzige Verbrechen, das besonders in der Verfassung genannt und beschrieben ist, und zwar in Artikel III: „Verrat gegen die Vereinigten Staaten von Amerika soll nur das Führen von Krieg gegen diese sein oder sich auf die Seite ihrer Feinde zu stellen und diesen Hilfe und Annehmlichkeiten zu bieten.“

Ob nun Washington wirklich im Krieg mit al-Qaeda steht, steht natürlich zur Debatte, überhaupt wo es keine Kriegserklärung durch den Kongress gibt, wie das vom Artikel I der Verfassung gefordert wird. Der Kongress hat, wie auch immer, Gesetze beschlossen, darunter über den Einsatz von militärischer Gewalt, die den Präsidenten ermächtigen, alle erforderlichen Kräfte gegen al-Qaeda und „nahestehende“ Gruppen einzusetzen – das ist es, worauf Cheney und die anderen sich stützen, wenn sie von einem Kriegszustand reden.

Aber sogar wenn man den irgendwie überhudelten und lockeren Standard dafür, dass man sich im Kriegszustand befindet, akzeptiert, ist schwer zu erkennen, wo Snowden al-Quaeda und den „nahestehende Gruppen“-Feind unterstützt hat. Snowden hatte keinen Kontakt mit al-Qaeda und hat sie nicht mit geheimer Information versorgt. Auch hat er nicht in ihrem Namen gesprochen, ihr Ratschläge erteilt oder in irgendeiner Weise ihre Aktivitäten gegen die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützt. Das Rückzugsargument, dass Snowden Terroristen auf die Tatsache aufmerksam gemacht hat, dass Washington ihre e-mails lesen und ihre Telefongespräche abhören kann – und sie dadurch in die Lage versetzt habe, ihre Kommunikationsmethoden zu ändern – ist kaum wert, darüber nachzudenken, nachdem Gruppen wie al-Qaeda das schon lange herausgefunden haben. Osama bin Laden, ein ausgebildetet Ingenieur, warnte seine Anhänger wiederholt davor, Telefon oder Internet zu benutzen, und er selbst kommunizierte nur mit Boten. Er wusste über die technischen Möglichkeiten der Vereinigten Staaten von Amerika so gut Bescheid, dass er einen Cowboyhut trug, wenn er sich im Hof seines Hauses aufhielt, damit er nicht von herumfliegenden Drohnen oder Satelliten identifiziert werden konnte.

Versuche, das Verrat-Argument noch weiter auszuwalken, indem behauptet wird, dass Snowden geheimes Material an Russland und China übermittelt hat, sind gleichermassen verquer, nachdem die Vereinigten Staaten von Amerika volle und normale freundliche diplomatische Beziehungen sowohl mit Moskau als auch mit Peking unterhalten. Beide sind bedeutende Handelspartner. Washington befindet sich nicht im Kriegszustand mit einem der beiden Länder und war das auch nie mit Ausnahme einer kurzen und beschränkten Intervention im russischen Bürgerkrieg 1918. Auch gibt es keinen Hinweis, dass Snowden etwas von dem Material direkt an eine der beiden Regierungen weitergegeben hat oder dass er eine Beziehung zu einem ihrer Geheimdienste hat.

Dann ist da das breitere Argument der „nationalen Sicherheit.” Es geht ungefähr so: Washington wird nicht mehr in der Lage sein, gegen Feinde und Konkurrenten in der Welt zu spionieren, weil Snowden die Ressourcen und Methoden enthüllt hat, die die NSA dabei benutzt. Alle werden ihre Kommunikationsmethoden ändern und die Vereinigten Staaten von Amerika werden blind und ohne Anhaltspunkt dastehen. Gut, man könnte argumentieren, dass das Weisse Haus seit mindestens 12 Jahren ohne Anhaltspunkt dagestanden ist, Tatsache ist jedoch, dass die Technologie und die Techniken, derer sich die NSA bedient, nicht gerade geheim sind. Jeder vernünftige gut ausgebildete Telekom-Ingenieur kann dir genau sagen, was da gemacht wird, und das heisst, dass die Russen, Chinesen, Briten, Deutschen, Israelis und so gut wie jeder, der sich dafür interessiert, voll mitbekommen, über welche Möglichkeiten im technischen Sinn die Vereinigten Staaten von Amerika verfügen. Deswegen wechseln sie auch regelmässig die Codes für ihre diplomatische und militärische Kommunikation und deswegen verfügen ihre Systeme der zivilen Telekommunikation über Software, die Hacking durch Organisationen wie die NSA entdeckt.

Fremde Länder wissen auch, dass das, was das Schnüffelprogramm der NSA besonders auszeichnet, das enorme Ausmass von zugeordneten Ressourcen in Form von Computern und Personal ist, welches den unmittelbaren Zugang zu Milliarden von Bruchstücken von Information ermöglicht. Die NSA ist auch Nutzniesser der Möglichkeit, sich in Telekommunikationsknoten hineinzuhängen, die auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten von Amerika liegen oder indirekt zugänglich sind und dadurch der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika erlauben, direkt Datenströme abzusaugen. Die Geheimdienste sind ebenfalls imstande, sowohl an private Daten heranzukommen als auch hinten herum zu Information über Internet, Soziale Netzwerke und Computer Software-Firmen, wobei die größten von denen amerikanisch sind. Jeder, der an mehr Details interessiert ist, wie die NSA arbeitet und wozu sie fähig ist, sollte Jim Bamfords exzellente Bücher zu diesem Thema lesen.

Die Potenziale der NSA, obwohl streng geheim, sind schon seit langem vielen in der Geheimdienstszene bekannt. 2007 beschrieb ich das Bestreben der Bush-Administration, die Aktivitäten der NSA zu verbreitern, folgendermassen:  

„Der Präsident sucht eindeutig eine unbefristete Ermächtigung, Kommunikationen ohne rechtsstaatliche Hemmnisse zu überwachen, und offensichtlich will er das in den Vereinigten Staaten von Amerika machen ... der Anführer der Republikaner im Repräsentantenhaus John Boehner beschrieb den Vorschlag des Weissen Hauses unter Berufung auf 9/11 als einen notwendigen Schritt, um ‚bürokratische Hindernisse bei der Sammlung von geheimdienstlichem Material und dessen Verwertung zu beseitigen.’ Es ist in keiner Weise klar, wie ein unbeschränkter Zugang zu derzeit geschützten persönlichen Daten, welche bereits zugänglich sind durch eine überwachte Vorgangsweise, das bewirken sollte. Die ‚Modernisierung’ von FISA würde die Regierung in die Lage versetzen, ohne Einschränkung zu operieren. Ist es das, was Boehner in Wirklichkeit meint?“

Für mich war klar, dass 2007 Washington bereits die technische Leistungsfähigkeit besass, seine Überwachung von Kommunikationsnetzwerken um ein Vielfaches zu steigern, aber ich täuschte mich in meinem Glauben, dass die Regierung irgendwie durch legale und Bedenken bezüglich der Privatsphäre eingeschränkt war. Die breite Operation in einer freizügigen gesetzlosenen Umgebung hatte schon sechs Jahre davor begonnen, kurz nach 9/11, unter der Schirmherrschaft des Patriot Act und dem Ermächtigungsgesetz für den Einsatz von militärischer Gewalt.

Die kolossale Datenbeschaffungsoperation des Weissen Hauses wurde jetzt von Edward Snowden aufgedeckt, und die Menschen Amerikas haben entdeckt, dass sie von Washington bespitzelt worden sind in einem Ausmass, das über alles hinausgeht, sas sie sich als möglich vorgestellt hatten. Viele fremde Länder haben jetzt ebenfalls realisiert, dass das Ausmass der Beschnüffelung durch die Vereinigten Staaten von Amerika jeden vernünftigen Verhaltensstandard übersteigt, und zwar so sehr, dass, falls da noch irgendwelche Bomben in den Dokumenten verbleiben, diese sich höchstwahrscheinlich nur mehr auf spezifische Ziele der Beschnüffelung im Ausland beziehen. 

Hier in den Vereinigten Staaten von Amerika wird abzusehen sein, ob sich jemand genügend darum kümmert, etwas gegen die illegale Aktivität zu unternehmen, während wir bombardiert werden mit falschen Behauptungen, dass das ausser Kontrolle geratene Überwachungsprogramm „uns sicher gemacht hat.“ Es ist nebenbei interessant zu beobachten, dass die Enthüllungen, die sich aus Snowdens Whistleblowing ergeben, stark nahelegen, dass die Hippies und andere Typen in der Gegenkultur, die damals in den 1960ern demonstrierten, dass der Regierung nicht zu trauen ist, völlig recht hatten.

 
     
  erschienen am 16. Juli 2013 in > The American Conservative > Artikel  
  Archiv > Artikel von Philip Giraldi auf antikrieg.com  
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