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  Jenseits von M.A.D.: Die Wiederbelebung des Atomkriegs

Robert C. Koehler

 

„Einige der Schlüsseltechnokraten und Wissenschaftler des Kalten Kriegs sagen, dass das Land zu vertrauensselig ist in Hinblick auf seine nukleare Abschreckung. Sie sagen, dass das nukleare Vorhaben ‚seinen Weg in Richtung Abrüstung dahinrostet.’“

Lassen wir uns diese Ironie durch den Kopf gehen – Abrüstung bedeutet letztendlich nichts anderes, als alt und schwach und erbärmlich zu werden.

Was für eine brilliante Propaganda zur Wiederbelebung des Kalten Kriegs hinter der Maske einer objektiven Berichterstattung in der Los Angeles Times vergangene Woche. Denken wir nach über die finsteren Gluckser der Technokraten des Kalten Kriegs, wenn sie versuchen, eine zusätzliche Billion Dollars oder so aus dem nationalen Staatssäckel abzuziehen, um Amerikas Atomwaffenprogramm wieder auf den Glanz der 1960er zu bringen, und kräftig Design und Entwicklung der nächsten Generation von Atomwaffen voranzutreiben: unsere nationale Stärke, die Grundlage unserer Sicherheit. An diesem Artikel – „Neue Atomwaffen sind nötig, sagen viele Experten unter Hinweis auf das veraltete Arsenal“ – fehlt nur Slim Pickens Schrei „Ya-hoo!“, wenn er am Ende von Dr. Strangelove auf der Bombe in die Vergessenheit der Menschheit reitet.

Der augenscheinliche Fokus des Artikels, wie auch eines zweiten Artikels, der vor zwei Wochen erschienen ist, beide von Ralph Vartabedian und W.J. Hennigan, liegt auf der Hinfälligkeit des amerikanischen Atomarsenals mit seinen unzähligen Standorten und von veralteter Technologie und nachlässiger Wartung beeinträchtigten Transportsystemen, zum Beispiel: „Heute sind die Zeichen des Verfalls überall vorhanden in der Pantex-Fabrik in Texas, wo Atomwaffen zerlegt und repariert werden. Die Rattenplage dort ist so schlimm, dass die Angestellten sich fürchten, ihre Esspakete zur Arbeit mitzubringen.“

Dieser Horror. Ratten und Atombomben. Kommt Godzilla als nächstes? Jede ensthafte Infragestellung von Atomwaffen als ultimative Manifestation und Symbol nationaler Stärke fehlt in diesen Artikeln; auch von einer rationalen Abhandlung der Gefahr, die ihre ständig einsatzbereite Existenz für die Menschheit bedeutet, ist keine Rede – schon gar nicht vom Irrsinn von deren weiterer Entwicklung. Zum Beispiel: 

„John S. Foster, ehemaliger Direktor des Lawrence Livermore National Laboratory und im Kalten Krieg Chef der Forschung im Pentagon sagte, dass die Labors Prototypen von Waffen entwerfen, entwickeln und bauen sollten, die vom Militär in der Zukunft benötigt werden könnten, darunter eine sehr abgeschwächte Atomwaffe, die mit Präzisionssystemen eingesetzt werden könnte ...“

Im Kalten Krieg war die primäre Rechtfertigung unseres gigantischen Arsenals von Atomwaffen in die Abkürzung M.A.D. gepackt: mutually assured destruction (sichere gegenseitige Zerstörung). Keine Weltkriege mehr, Boys and Girls! Da die Supermächte des Kalten Kriegs die Mittel besaßen, die menschliche Rasse zu zerstören, waren die einzigen Kriege, die wir führen konnten, relativ kleine Stellvertreterkriege in Ländern der Dritten und Vierten Welt.  

„Diejenigen, die Frieden haben wollen, sollten Atomwaffen lieben,” sagte Kenneth Waltz, außergewöhnlicher Wissenschaftler des Kalten Kriegs und Gründer der Schule des Neorealismus (kürzlich von Eric Schlosser in The Guardian zitiert). „Das sind die einzigen Waffen, die jemals erfunden wurden, die entscheidend gegen ihren eigenen Einsatz wirken.“

Aber nach sieben Jahrzehnten Atomzeitalter macht sich der schleichende Prozess gemeinsam mit dem Rost und den Ratten bemerkbar. Verbinde abgeschwächte Atomwaffen mit einem Begriff wie „Präzision,“ und deren Einsatz in einem richtigen Krieg beginnt sich fast als vertretbar anzufühlen – und scheinbar viel befriedigender zu sein, als einfach ein atomares Arsenal für den Zweck zu behalten, es nie einzusetzen. Drohung ist abstrakte Macht. Aber eine Pilzwolke über Zentralasien oder dem Mittleren Osten ist Macht, die offenkundig gemacht wird, besonders wenn es einem an der mentalen und spirituellen Fähigkeit mangelt, die Konsequenzen zu erfassen. 

Das nukleare Zeitalter, schrieb Noam Chomsky im vergangenen August, als er über den Jahrestag des Abwurfs der Atombombe auf Hiroshima reflektierte, „begann am 6. August 1945, dem ersten Tag des Countdown zu dem, was das unrühmliche Ende dieser merkwürdigen Spezies sein wird, die es zur Intelligenz brachte, die wirkungsvollen Mittel zu entdecken, um sich selbst zu zerstören, aber – das legen die Beweise nahe – nicht zur moralischen und intellektuellen Fähigkeit, ihre schlimmsten Instinkte unter Kontrolle zu halten.“

Der Auftrag, den unsere Mainstream-Medien für sich beansprucht haben, besteht darin, uns fortwährend unsere Unfähigkeit vor Augen zu führen, unsere schlimmsten Instinkte zu bändigen. Somit, schreiben Vartabedian und Hennigan, „könnte der in Kürze von den Republikanern dominierte Kongress der Erkundung neuer (nuklearer) Waffen offener gegenüberstehen.“

Sie zitieren dann den republikanischen Abgeordneten aus Texas Mac Thornberry, Kandidat für den Vorsitz des Ausschusses für die bewaffneten Kräfte. Indem er seine Bedenken bezüglich unseres alternden Arsenals und seine Unterstützung für erneute Atomversuche zum Ausdruck brachte, sagte der: „Man weiß nicht, wie ein Auto funktioniert, wenn man nicht den Schlüssel umdreht. Warum sollten wir uns mit weniger zufrieden geben als mit einer Waffe, die die Grundlage für das bietet, auf dem unsere gesamte nationale Sicherheit beruht?“

Und das bringt mich zurück zum Rost. Was hoffnungslos veraltet und nahe am Zusammenbruch erscheint, ist nicht unsere nukleare Infrastruktur, sondern unser Denken über nationale Sicherheit. Die Vereinigten Staaten von Amerika, Land des Manifest Destiny, wurden erbaut auf Eroberung und Ausbeutung. Das ist die Grundlage ihrer Unfähigkeit zu glauben, dass Sicherheit auf etwas anderem beruhen könnte als auf nahezu absoluter Macht, und der Grund dafür, dass in den Korridoren der politischen Macht Abrüstung nicht mit Vernunft, sondern mit Nachlässigkeit gleichgesetzt wird.

Wenn das Paradigma sich nicht ändert und wir uns nicht als Land neu definieren – und unsere Beziehung zu anderen Ländern einschließlich unserer angeblichen Feinde – liegt unsere Zukunft in Atomwaffen, die wir einsetzen können. 

 
     
  Archiv > Artikel von Robert C. Koehler auf antikrieg.com  
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