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  Ho Chi Minh ruft die Unabhängigkeit Vietnams aus – mit Hilfe der USA

Während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten Vietnams Freiheitskämpfer und die Vereinigten Staaten noch eng zusammen. Doch mit Beginn des Kalten Krieges setzten die USA dann auf Frankreich.

Ho Chi Minh Anfang 1946 in Paris. Er versuchte vergebens, einen Krieg mit Frankreich zu verhindern.   © Rolf Steininger

Rolf Steininger

 

Der 2. September 1945 ist ein denkwürdiges Datum in der Geschichte der USA, Japans, Vietnams und Frankreichs. An diesem Tag, einem Sonntag, unterschrieben die Japaner auf dem amerikanischen Schlachtschiff USS Missouri in der Bucht von Tokio ihre bedingungslose Kapitulation. Am selben Tag, fast zur gleichen Stunde, proklamierte der vietnamesische Nationalist und Kommunist Ho Chi Minh auf dem Ba-Dinh-Platz in Hanoi die Unabhängigkeit seines Landes von Frankreich. Amerikanische Offiziere hatten sich dabei auf der Ehrentribüne versammelt.

 

Unabhängigkeitserklärung

Das von Ho entworfene Dokument entsprach in Stil und Wortwahl der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776. Wie damals Thomas Jefferson dem englischen König George III. zahlreiche Vergehen vorgeworfen hatte, so wurden jetzt die Vergehen der Franzosen in Vietnam aufgelistet: inhumane Gesetze, ungerechte Steuern, Ausbeutung der Arbeiter, Verletzung der Ideale von Humanität und Gerechtigkeit. Die Unabhängigkeitserklärung schloss mit der Erwartung, dass die siegreichen Nationen jene Prinzipien, auf die sie sich bei der Gründung der Vereinten Nationen geeinigt hatten, anwenden und folglich die Unabhängigkeit Vietnams anerkennen würden. Ho hoffte auf die Unterstützung der USA.

 

Amerikaner retteten Ho

Gut anderthalb Jahre zuvor, im Jänner 1944, hatte US-Präsident Franklin D. Roosevelt an seinen Außenminister Cordell Hull über Indochina Folgendes geschrieben:

„Frankreich hat dieses Land – 30 Millionen Menschen – fast hundert Jahre in seinem Besitz gehabt und dem Volk geht es schlechter als zu Beginn. Frankreich hat es hundert Jahre gemolken. Das Volk Indochinas verdient etwas Besseres als das.“

In den letzten Kriegsmonaten gab es eine Art Bündnis zwischen den Vietminh, den Unabhängigkeitskämpfern Ho Chi Minhs, und den USA. Der amerikanische Geheimdienst OSS (Office of Strategic Services), Vorläufer der 1947 gegründeten CIA (Central Intelligence Agency), brauchte die Vietminh, um mit ihren Kenntnissen u.?a. abgeschossene amerikanische Piloten zu retten und Informationen im Kampf gegen die Japaner zu sammeln.

Ein sieben Mann starkes OSS-Team mit dem Codenamen „Deer Mission“ sprang am 16. Juli 1945 mit Fallschirmen und Waffen für hundert Mann in Nordvietnam ab und stieß dort auf Ho Chi Minh, der nach Aussage eines Amerikaners „ein Haufen Knochen, überzogen mit trockener, gelber Haut“ und schwer krank war. Ho wurde vom Arzt des Teams, Paul Hoagland, gegen Malaria und Ruhr behandelt; wahrscheinlich retteten die Amerikaner dem 55-Jährigen damals das Leben.

Obwohl die Franzosen den Amerikanern Ho zuvor als „hinterlistig und verräterisch“ beschrieben hatten, trafen sie hier auf einen nach eigener Aussage „furchtbar netten Kerl“, der Brooklyn-Dialekt sprach (Ho hatte 1913 in New York gearbeitet), und ernannten ihn angeblich sogar zum OSS-Agenten Nr. 19.

Der Chef der „Deer Mission“, Allison Thomas, meldete nach Washington: „Vergesst die Kommunisten! Die Vietminh sind keine Kommunisten. Sie wollen die Freiheit und ein Ende der französischen Herrschaft.“

Am Tag vor seiner Abreise fragte Thomas Ho, ob er Kommunist sei. Ho antwortete: „Ja, aber wir können trotzdem Freunde sein.“

 

Provisorische Regierung

Am 15. August 1945 kam die Nachricht durch, dass Japan kapituliert hatte und auf der Konferenz von Potsdam beschlossen worden war, dass der Erzfeind Vietnams, China, nördlich des 16. Breitengrades und britische Truppen südlich davon die Kapitulation und die Entwaffnung der Japaner übernehmen sollten.

Einen Tag später reagierte Ho Chi Minh und bildete mit 60 Genossen das so genannte „Nationale Befreiungskomitee“ mit ihm als Präsident. Dieses Komitee war gleichbedeutend mit einer provisorischen Regierung.

 

Angebot an die USA

Am 19. August betrat er in Begleitung von OSS-Offizieren Hanoi und übernahm die Macht. Am 2. September rief er auf dem Ba-Dinh-Platz die Unabhängigkeit Vietnams aus. Dies war mit massiver Hilfe der Amerikaner geschehen; u.?a. war es Major Archimedes Patti, der von Ho beeindruckt war und ihn veranlasste, auf amerikanische Hilfe zu setzen – was bereits in der Unabhängigkeitserklärung deutlich wurde, in der Ho wörtlich Sätze aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung übernommen hatte.

Ho ließ den Chef der OSS-„Deer Mission“ wissen, er werde eine Million US-Soldaten willkommen heißen, aber keine Franzosen. In diesem Sinne schickte er in den folgenden Wochen und Monaten mehrere Telegramme an US-Präsident Truman, verbunden mit dem Angebot, den Amerikanern die Marinebasis Cam Rahn zu überlassen.

 

Washington reagierte nicht und setzte am Beginn des Kalten Krieges auf Frankreich.

Am 21. September 1945 rief der für die Entwaffnung der Japaner im Süden Vietnams zuständige britische General in Saigon das Kriegsrecht aus. Er war davon überzeugt, dass die zivile und militärische Machtübernahme Frankreichs nur eine Frage von Wochen sei. Am nächsten Tag griffen französische Fallschirmjäger und von den Japanern zuvor internierte Fremdenlegionäre das Rathaus in Saigon an, vertrieben das Provisorische Exekutivkomitee der Vietminh, besetzten die Polizeistation und andere öffentliche Gebäude und hissten die Trikolore. Daraufhin riefen die Vietminh am 24. September 1945 den Generalstreik aus und griffen den Flughafen und die Stadthalle an, wobei sie 150 Franzosen töteten; anschließend steckten sie den zentralen Markt in Saigon in Brand und stürmten die Gefängnisse. Im Foreign Office in London hieß es:

„Es geht darum, französische Truppen so schnell wie möglich nach Südvietnam zu bringen und ihnen die Sache zu übergeben und anschließend unsere Truppen so schnell wie möglich abzuziehen.“

 

Verhandlung in Paris

Genau das geschah: Französische Truppen wurden auf britischen Schiffen nach Vietnam transportiert, während in Washington der amtierende Außenminister Dean Acheson notierte: „Die USA denken nicht daran, die Wiederherstellung der französischen Macht in Indochina zu verhindern.“ Am 6. März 1946 kam es dennoch zwischen Ho und Frankreich zu einer Vereinbarung. Frankreich erkannte Vietnam als „freien Staat“ in der französischen Union an. Nach fünf Jahren sollte ein Referendum über das weitere Schicksal entscheiden. Während dieser fünf Jahre sollten 15.000 französische und 1000 vietnamesische Soldaten unter französischem Kommando stationiert sein.

 

Frankreichs Wortbruch

In Paris dachte allerdings niemand ernsthaft daran, diese Vereinbarung einzuhalten. Das musste Ho schmerzhaft erfahren, als er in Frankreich wochenlang hingehalten wurde. Er blieb dennoch kompromissbereit und formulierte das so: „Weder Frankreich noch Vietnam können sich den Luxus eines blutigen Krieges leisten.“ Es kam trotzdem zu diesem Krieg.

Die weitere Entwicklung ist bekannt: 1954 wurden die französischen Truppen von den Vietnamesen bei Dien Bien Phu vernichtend geschlagen. Nach dem Indochinakrieg kam der Vietnamkrieg, der zum ersten verlorenen Krieg für die USA wurde – mit Millionen Toten. Und Cam Rahn war während dieser Zeit in der Tat die größte amerikanische Marinebasis in Vietnam, allerdings nicht so, wie es Ho Chi Minh angeboten hatte.

 
     
  erschienen am 5. September 2015 auf > Tiroler Tageszeitung > Artikel > Prof. Rolf Steiningers Website  
 
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