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  Amerikanische Macht am Scheideweg

Eine Momentaufnahme einer multipolaren Welt in Bewegung

Dilip Hiro

 

Im eigenartigsten Wahljahr der jüngeren amerikanischen Geschichte – in dem der Kandidat der libertären Partei Gary Johnson nicht einmal den Namen eines ausländischen Anführers, den er „bewundert“ hervorbringen konnte, während Donald Trump bei der Absicht blieb, seine „fette schöne Mauer“ zu bauen und sich das irakische Öl zu „holen“ – könnte die Welt aus dem Blickfeld vieler Amerikaner verschwunden sein. Es ist also eine kleine Einführung in den Planeten angesagt, den wir in der Tat bewohnen. Willkommen in einer multipolaren Welt. Eine Tatsache sticht hervor: die Erde ist nicht länger das Eigentum der „einzigen Supermacht“ des Erdballs. 

Wer einen Beweis dafür haben will, der kann damit anfangen, indem er sich mit Moskaus Rolle bei der kürzlichen Umgestaltung des Kriegs in Syrien und bei der Vereitelung von Washingtons Absicht, Präsident Bashar al-Assad zu stürzen, beschäftigt. Und das ist nur eine von einer Reihe von Entwicklungen, die Amerikas weltweit schwindende Macht sowohl in der militärischen als auch in der diplomatischen Arena aufzeigen. Oder auf friedlichem Gebiet, denken Sie an die Art, wie China erfolgreich die Asiatische Entwicklungsbank als einen Rivalen der Weltbank eröffnet hat, nicht zu reden von einem Plan, zahlreiche Länder in Asien und Europa mit China zu vernetzen mit einem ungeheuren Netzwerk von Transportwegen und Pipelines, die es großartig als den Einen Gürtel und Eine Straße-System oder als Projekt Neue Seidenstraße bezeichnet. Anhand von solchen Entwicklungen kann man sehen, wie die ursprünglich überwältigende wirtschaftliche Kraft der Vereinigten Staaten von Amerika Schritt für Schritt international herausgefordert und beschnitten wird.

 

Moskau hat das Sagen in Syrien

Das Abkommen zwischen Moskau und Washington vom 10. September über Syrien, das nach zehn Monaten harter Verhandlungen erzielt wurde und jetzt nach einem weiteren gebrochenen Waffenstillstand in Scherben liegt, hatte einen entscheidenden, wenn auch wenig beachteten Aspekt. Das erste Mal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion schaffte es Russland, sich selbst auf dieselbe diplomatische Ebene wie die Vereinigten Staaten von Amerika zu heben. Russlands Außenminister Sergej Lavrov sagte: „das ist nicht das Ende des Weges ... sondern der Beginn unserer neuen Beziehungen“ mit Washington. Wenn auch diese Beziehungen sich jetzt in einem Zustand der Stillegung und der Verschlimmerung befinden, so ist unbestreitbar, dass die eingeschränkte militärische Intervention des Kreml in Syrien so konzipiert war, dass sie einen Mehrfacheffekt erreichte, mit Erfolgen sowohl in diesem kriegsverwüsteten verheerten Land als auch in der internationalen Diplomatie.  

Nach dem, was man hört, war Präsident Assad im August 2015 am Ende seiner Kräfte und die Moral seiner dahinschwindenden Armee auf dem Tiefstpunkt. Sogar die Unterstützung des Iran und der libanesischen Kämpfergruppe Hezbollah hatten sich als unzureichend erwiesen, um den Zusammenbruch seiner Machtposition rückgängig zu machen. 

Um seine Regierung vor dem Zusammenbruch zu retten, beschlossen die militärischen Planer des Kreml, das durch die zusammenbrechende syrische Luftwaffe entstandene gähnende Loch zu schließen, seine Luftabwehrkräfte aufzustocken und sein heruntergekommenes Arsenal von Panzern und gepanzerten Fahrzeugen aufzumöbeln. Zu diesem Zweck machten sie aus einem der letzten russischen Stützpunkte im Ausland, einer Luftwaffenbasis nahe dem Hafen Latakia am Mittelmeer, eine Operationsbasis, in die sie Kampfflugzeuge, Kampfhelikopter, Panzer, Artillerie und gepanzerte Personenfahrzeuge lieferten. Russland stationierte dort auch seine hochentwickelten S-400 Boden-Luft-Raketen.

Die Zahl des entsandten russischen Militärpersonals wurde auf 4.000 bis 5.000 geschätzt. Obwohl keine Bodentruppen dabei waren, war das ein beispielloser Schritt in der jüngsten russischen Geschichte. Das letzte Mal, als der Kreml signifikante Kräfte außerhalb seines Territoriums einsetzte – im Dezember 1979 in Afghanistan – erwies sich das als unüberlegtes Unterfangen, das ein Jahrzehnt später mit deren Rückzug endete, gefolgt vom Zusammenbruch der Sowjetunion im Dezember 1991.

„Ein Versuch Russlands und des Irans, Assad zu stützen und zu versuchen, die Bevölkerung zu befrieden, wird dazu führen, dass sie im Sumpf stecken werden, und es wird nicht funktionieren,“ sagte Präsident Barack Obama bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus, kurz nach der russischen militärischen Intervention. Er hätte es wissen müssen, nachdem eine Koalition unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika seit September 2014 Ziele auf syrischem Territorium bombardiert hatte, die vom terroristischen Islamischen Staat kontrolliert wurden. Trotzdem unterzeichnete das Pentagon bald danach eine Abmachung mit dem Kreml betreffend Sicherheitsmaßnahmen für ihre Flugzeuge, die jetzt beide im syrischen Luftraum unterwegs waren, und richtete eine Kommunikationsverbindung ein für alle Probleme, die auftauchen könnten. 

In den folgenden sechs Monaten führten russische Kampfflugzeuge in einer anhaltenden Luftkampagne 9.000 Angriffe durch, wobei sie behaupteten, 209 Erdölproduktions- und –transportanlagen (vermutlich vom ISIS kontrolliert) zerstört zu haben und der syrischen Armee dazu verholfen zu haben, 400 über ein Gebiet von 10.000 km² verteilte Siedlungen zurückzuerobern. In dem Prozess verloren die Russen fünf Soldaten. Als die Aussicht stieg, dass Russland eine anhaltend bedeutende Rolle in Syrien spielen wird, begann die Stimmung im Weißen Haus sich zu ändern. Mitte März 2016 traf Außenminister John Kerry den russischen Präsidenten Vladimir Putin im Kreml. Die Konsequenz, wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen war, dass die Vereinigten Staaten von Amerika die Rechtmäßigkeit der russischen Position in Syrien anerkannten, und dass engere Koordination zwischen den beiden führenden Spielern erforderlich war, um ISIS zu zerschmettern. 

Ein Jahr nach dem Beginn der russischen Kampagne waren die meisten größeren syrischen Städte wieder zurück in den Händen der Regierung (wenn oft auch in Trümmern), und der von Rebellen gehaltene Osten Aleppos wurde angegriffen. Die Moral der Regierung Assad hatte sich gebessert, obwohl die Größe seiner Armee sich verkleinert hatte. Sie war nicht länger in Gefahr, gestürzt zu werden, und ihre Position an jedem künftigen Verhandlungstisch wurde gestärkt.

Nicht weniger wichtig war für die Russen, die sich gerade wieder auf der Bühne des Mittleren Ostens etablierten, dass alle ausländischen Anti-Assad-Spieler dazu gekommen waren, die ausschlaggebende Position anzuerkennen, die der Kreml in diesem kriegszerrissenen Land errungen hatte, in dem ein fünfeinhalbjähriger Konflikt zu bis zu 500.000 Toten geführt hatte und die Bombardierung von Krankenhäusern normal geworden war. Am ersten Jahrestag der russischen Kampagne schickte Putin mehr Flugzeuge nach Syrien, was die Möglichkeit schuf, in ein Schlamassel zu geraten. Es kann aber keine Frage sein, dass in der Zwischenzeit Putins Strategie Russlands geopolitischen Zielen gut gedient hat.

 

Putin wird von den Anti-Assad-Arabern aufgesucht

Zwischen Oktober 2015 und August 2016 trafen sich Spitzenvertreter von Saudiarabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Qatar, Bahrain und der Türkei an verschiedenen Orten zu Gesprächen mit Putin. Der erste von ihnen war im Oktober der saudiarabische Verteidigungsminister Prinz Muhammad, ein Sohn von König Salman. Sie trafen sich in der Datscha des russischen Präsidenten im Schwarzmeer-Erholungsgebiet von Sotschi. Saudiarabien hatte bereits den Kauf von von der CIA beschaffter TOW Antipanzerraketen finanziert, die weitgehend eine Rebellenoffensive gegen Assad im Sommer 2015 versorgt hatten. Jetzt einigten die beiden sich darauf, dass sie das gemeinsame Ziel hatten zu verhindern, dass „ein terroristisches Kalifat [ISIS] die Oberhand gewann.“ Als der Saudi-Außenminister Adel al-Jubeir seine Bedenken bezüglich der Rebellengruppen äußerte, die die Russen angriffen, war Putin bereit, Geheimdienstinformationen auszutauschen, was künftige Zusammenarbeit zwischen ihren Militärs und Sicherheitsdiensten bedeutete.

Später am selben Tag besuchte Sheikh Mohammed bin Zayed al-Nahyan, der stellvertretende Oberkommandierende der Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate Putin. „Ich kann sagen, dass Russland eine sehr erhebliche Rolle in den Angelegenheiten des Mittleren Ostens spielt,“ sagte er danach, und fügte hinzu: „Es besteht kein Zweifel daran, dass wir eine ausgezeichnete Beziehung haben.“

Der Herrscher von Qatar Emir Tamim bin Hamad al-Thani ging nach seinem Treffen mit Putin im Januar 2016 im Kreml einen Schritt weiter. „Russland,“ erklärte er, „spielt eine Hauptrolle, was die Stabilität in der Welt betrifft.“ Gemeinsam mit Jordanien hatte Qatar der CIA Basen für Ausbildung und Bewaffnung von Anti-Assad-Insurgenten zur Verfügung gestellt.

Der nächste Besucher Putins in Sotschi aus der Golfregion war einen Monat später König Hamad bin Isa al-Khalifa von Bahrain, das seit 1971 die Fünfte Flotte der Marine der Vereinigten Staaten von Amerika beherbergt. Er brachte dem russischen Anführer ein „Schwert des Sieges“ aus Damaszenerstahl mit. Nach ihren Gesprächen berichtete Außenminister Lavrov, dass die beiden Länder vereinbart haben, die wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen auszubauen.

Im August reiste der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach St. Petersburg, um “meinen lieben Freund” Putin zu treffen. Ihre Beziehungen waren auf einen Tiefpunkt gefallen, nachdem die Türken ein russisches Kampfflugzeug über dem Norden Syriens abgeschossen hatten. Anders als Spitzenpolitiker des Westens hatte jedenfalls Putin Erdogan persönlich angerufen, um ihm zur Vereitelung des versuchten Militärputsches im Juli zu gratulieren. „Wir lehnen alle Versuche von gegen die Verfassung gerichteten Aktivitäten immer kategorisch ab,“ sagte er. Nach dreistündigen Gesprächen einigten sie sich darauf, ihre angespannten wirtschaftlichen Beziehungen zu verbessern, und in einer überraschenden Wende hörte Erdogan auf einmal auf, Assad zum Rücktritt aufzufordern. 

Unter dem Strich erreichte Putin durch seine begrenzte militärische Intervention in Syrien eine bessere Durchschlagskraft bei Entscheidungen betreffend die Zukunft des Mittleren Ostens, was auch half, die internationalen Aufmerksamkeit von der Krim und von der Krise im Osten der Ukraine abzulenken. Zu seiner Zufriedenheit hatte Putin auch erfolgreich die Behauptung Obamas widerlegt, die dieser nach der Angliederung der Krim an Russland gemacht hatte, nämlich dass „Russland eine regionale Macht ist, die einige ihrer unmittelbaren Nachbarn nicht aus Stärke, sondern aus Schwäche heraus bedroht.“

Als zusätzlichen Bonus konnte Putin die Festigung seiner eigenen Popularität im Inland verbuchen, die nach den Vorgängen auf der Krim und in der östlichen Ukraine auf eine Zustimmungsquote von 89% gestiegen war in einer Zeit, in der die Sanktionen der Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union zusammen mit gesunkenen Erdölpreisen zu einer Rezession geführt hatten, die die russische Wirtschaft 2015 um 3,7% schrumpfen ließ. Es war eine verblüffende Demonstration der Tatsache, dass in der Innenpolitik die Wahrnehmung eines starken Anführers durch die Allgemeinheit die wirtschaftliche Realität übertrumpft, wenn sie diesen Ausdruck entschuldigen. Für heuer wird ein weiterer Rückgang der russischen Wirtschaft um vielleicht noch 1% erwartet, und dennoch hat in den kürzlich stattgefundenen Parlamentswahlen die von Putin unterstützte Partei Vereinigtes Russland 54% der Stimmen bekommen, und 343 von 450 Sitzen.  

 

Chinesische und russische geopolitische Interessen nähern sich an

Teilweise infolge der Sanktionen des Westens hat Russland auch seine wirtschaftlichen Beziehungen mit China verstärkt. Im Juni 2016 machte Putin seine vierte Reise nach Peking seit März 2013, als Xi Jinping chinesischer Präsident wurde. Die beiden Anführer betonten ihre gemeinsame Auffassung über die Annäherung ihrer Länder in den Bereichen Handel, Investitionen und geopolitische Interessen.

„Präsident Putin und ich sind der gleichen Meinung,” sagte Xi, „dass wir sogar noch härter auf der Einhaltung des Geistes der 2001 vereinbarten chinesisch-russischen Partnerschaft und Zusammenarbeit beharren müssen, wenn wir mit internationalen Umständen konfrontiert sind, die zunehmend komplizierter sind und sich verändern.“ Indem er die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarn zusammenfasste, gab Putin seine Einschätzung bekannt: „Russland und China halten sich an Standpunkte, die sehr nahe beieinander liegen oder sich in der internationalen Arena nahezu decken.“ Als Mitbegründer der Shanghai Cooperation Organization 1996 betrachten die beiden Länder sich selbst als eurasische Mächte.

Bei seinem Besuch in Peking im vergangenen Juni führte Putin 58 Geschäftsabschlüsse im Wert von 50 Milliarden Dollar an, die damals von den beiden Regierungen diskutiert wurden. Russland bereitete auch die Ausgabe von Staatsanleihen auf Yuan-Basis im Umfang von einer Milliarde Dollar vor und diskutierte Pläne, Chinas nationales Zahlungsnetzwerk mit seinem eigenen Kreditkartensystem zu verbinden. Die beiden Nachbarn haben bereits einen Vertrag über 400 Milliarden abgeschlossen, in dessen Rahmen der russische Energieversorger Gazprom China in den nächsten 30 Jahren mit Erdgas beliefern soll.

Als Beispiel für die chinesisch-russische gemeinsame geopolitische Vorgangsweise sei der kürzliche Besuch von Konteradmiral Guan Youfei, Chef des chinesischen Büros für internationale militärische Kooperation, in der syrischen Hauptstadt Damaskus erwähnt. Er traf den syrischen Verteidigungsminister Fahd Jassem al-Freji und führte Gespräche mit dem russischen General, der die militärische Unterstützung für dieses Land koordiniert. Guan und al-Freji vereinbarten, chinesische Ausbildung und humanitäre Hilfe auszuweiten, um dem religiösen Extremismus entgegenzutreten.

Anlässlich Putins Besuch im Juni rief Xi auf zu engerer Zusammenarbeit zwischen ihren Nachrichtenagenturen, damit beide Länder „gemeinsam den Einfluss ihrer Medien auf die öffentliche Meinung der Welt ausweiten können.“ Jedes der beiden Länder hat bereits beachtliche Vorstöße in den globalen Informationsfluss gemacht. In China startete die staatliche Verwaltung von Radio, Film und Fernsehen 2001 ihr „going out“-Projekt durch Chinas zentrales Fernsehen. 2009 sendete dessen Fremdsprachenabteilung weltweit Programme in Arabisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch via Satellit und Kabel.

2006 richtete Putin RT als eine Marke von TV-Novosti ein, als autonome Non-Profit-Organisation, die von der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti mit einem Budget von 30 Millionen Dollar finanziert wurde, und gab ihr den Auftrag, die russische Sichtweise über internationale Vorgänge zu präsentieren. Seit damals hat RT International rund um die Uhr Nachrichtensendungen, Dokumentationen, Talk Shows, Diskussionen, Sportsendungen und Kulturprogramme in 12 Sprachen geboten, darunter Englisch, Arabisch, Spanisch, Hindi und Türkisch. RT Amerikca und RT UK haben Inhalte mit lokalem Bezug seit 2010 bzw. 2014 ausgestrahlt.

Mit einem jährlichen Budget von 300 Millionen Dollar in den Jahren 2013-2014 lag RT noch immer hinter der BBC World Service Group mit 367 Millionen Dollar Budget und Sendungen in 36 Sprachen. Während eines Besuchs in den hochmodernen Studios in Moskau 2013 forderte Putin die Mitarbeiter auf, „das angelsächsische Monopol über weltweite Informationsflüsse zu brechen.“

 

Chinas globale Machtplanung

2010 begann Präsident Obama mit seiner „Achse nach Asien“-Strategie Chinas wachsende Macht einzudämmen. Als Antwort präsentierte Präsident Xi Jinping innerhalb von sechs Monaten nach seinem Amtsantritt einen Plan für das ambitionierte Ein Gürtel und Eine Straße- Projekt seines Landes. Sein Ziel war nichts weniger als die Neuordnung der geostrategischen Konfiguration der internationalen Politik, während die wirtschaftliche Neukonstruktion Eurasiens gefördert wurde. Innenpolitisch sollte das Übergewicht der chinesischen Küstengebiete durch die Entwicklung seines westlichen Hinterlands ausgeglichen werden. Es ging auch darum, China, Südostasien, Südasien und Zentralasien durch ein Netz von Eisenbahnen und Energie-Pipelines mit Europa zu verlinken. Im Februar 2015 absolvierte der erste Lastenzug erfolgreich eine 26.000 km lange Rundfahrt von der ostchinesischen Stadt Yiwu nach Madrid in Spanien und zurück – ein bemerkenswertes Zeichen der sich ändernden Zeiten.

Um sein Projekt Neue Seidenstraße zu realisieren, richtete Peking den Seidenstraßen-Fonds ein und stattete ihn mit $ 40 Milliarden an Kapital aus. Sein Ziel war, zunehmende Investitionen in Länder an den verschiedenen Routen des Projekts zu fördern. Geht man von Chinas Reserven an Auslandswährung in der Höhe von $ 3,3 Billionen im Jahr 2015 aus – 2008 waren es noch 1,9 Billionen – handelt es sich um einen bescheidenen Betrag, und doch sieht es so aus, als würde er sich als entscheidend wichtig für Chinas Zukunftsplanung erweisen.

Im Januar 2015 richtete die chinesische Regierung auch die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) in Peking ein. Zwei Monate später wurde Großbritannien das erste größere westliche Land, das als Gründungsmitglied beitrat, wobei es Washingtons Mahnungen ignorierte. Frankreich, Deutschland und Italien folgten unmittelbar seinem Vorbild. Keines dieser Länder könnte es sich leisten, Chinas robuste wirtschaftliche Expansion zu ignorieren, welche unter anderem dieses Land zur größten Handelsnation der Erde gemacht hat. Mit Importen und Exporten im Wert von $ 3,87 Billionen im Jahr 2012 überholte es die Vereinigten Staaten von Amerika ($ 3,82 Billionen) und verdrängte sie von einer Position, die diese seit 60 Jahren gehalten hatten.

China ist jetzt Handelspartner Nummer eins von 29 Ländern, darunter einige Mitglieder der 10 Länder starken Association of Southeast Asian Nations (ASEAN). Das erklärt wohl, warum ASEAN nicht einstimmig die Philippinen - ein Mitglied - unterstützte, als das Schiedsgericht in den Haag im Juli zu dessen Gunsten und gegen Chinas Ansprüche auf Rechte im Südchinesischen Meer urteilte. Bald danach kündigte China die Abhaltung von zehntägigen chinesisch-russischen Marinemanövern in diesen Gewässern an.

Sein wachsendes Bruttoinlandsprodukt (BIP) widerspiegelnd, haben auch Chinas Ausgaben für das Militär zugenommen. Laut dem jährlichen Bericht des Pentagon über die chinesischen Streitkräfte ist Chinas Verteidigungsbudget seit 2006 jährlich um 9,8% gestiegen, wobei es 2015 $ 180 Milliarden bzw. 1,7% seines BIP erreicht hat. Im Gegensatz dazu machte das Budget des Pentagon im Jahr 2015 in der Höhe von $ 585 Milliarden 3,2% des BIP der Vereinigten Staaten von Amerika aus.

Aus offensichtlichen Gründen legt die chinesische Regierung im militärischen Bereich besonderes Gewicht auf die Ausweitung und Verbesserung ihrer Marinekapazität.

Eine Untersuchung seiner Marinedoktrin zeigt, dass China dem klassischen Muster folgt, das von den Vereinigten Staaten von Amerika, Deutschland und Japan gegen Ende des 19. Jahrhunderts vorgegeben wurde in ihrem Bestreben, globale Mächte zu werden. Zuerst wird der Schwerpunkt auf die Verteidigung der Küste des eigenen Landes gelegt, dann zweitens auf die Sicherheit in den eigenen territorialen Gewässern und der Schifffahrt, und drittens auf die Sicherung von wichtigen Seerouten, die es für seine kommerziellen Interessen benützt. Für Peking ist die Sicherung der Seestraßen, auf denen das Erdöl aus dem Persischen Golf in die Häfen im Süden Chinas geliefert wird, von entscheidender Bedeutung. 

Das ultimative Ziel und die vierte Stufe dieser Entwicklung für eine aufstrebende Weltmacht ist natürlich die Machtverlagerung in entfernte Länder. Nachdem es jetzt die dritte Stufe in diesem Prozess erreicht hat, legt China die Grundlage für sein endgültiges Ziel mit einem maritimen Seidenstraßenprojekt, zu dem die Errichtung von Häfen in Burma, Bangladesh, Sri Lanka und Pakistan gehört.

Der mittelfristige Zweck von Chinas Marine ist die Einschränkung des Monopols, dessen die Vereinigten Staaten von Amerika sich im Pazifik erfreut haben. Zu diesem Zweck baut es rapid seine Flotte von U-Booten aus. Mittlerweile – als ein Vorzeichen für Dinge, die kommen werden – hat China einen Pachtvertrag über 10 Jahre für die Nutzung eines 36 ha großen Grundstücks in Dschibuti am Horn von Afrika abgeschlossen, um seinen ersten militärischen Stützpunkt im Ausland zu errichten. In starkem Gegensatz dazu verfügen die Vereinigten Staaten von Amerika laut dem letzten Bericht des Pentagons über Militärbasen in 74 Ländern. Die entsprechenden Zahlen für Frankreich und Britannien sind 10 und 7. Offensichtlich hat China einen langen Weg vor sich, um da mithalten zu können.

 

Die realistischen Ziele Chinas und Russlands

Zur Zeit scheinen die chinesischen Anführer sich nicht vorzustellen, dass ihr Land die Vereinigten Staaten von Amerika offen um die Weltherrschaft herausfordert, zumindest nicht in den kommenden Jahrzehnten. Vor zehn Jahren brachte die Chinesische Akademe für Sozialwissenschaften in Peking, die angesehenste Denkfabrik des Landes, das Konzept der „comprehensive national power“ (der „umfassenden nationalen Stärke“) heraus in Form einer einzigen sorgfältig berechneten Zahl auf einer Skala von 100. 2015 betrugen die entsprechenden Zahlen für Amerika, China und Russland 91,68, 33,92 und 30,48.

Mit 35,12 war Japan die Nummer zwei auf dieser Liste, Indien war Nummer 10, was aber dessen Premierminister Narendra Modo nicht davon abhielt zu erklären, dass sein Land in “das Zeitalter des Strebens“ eingetreten sei und darauf zu beharren, dass der spätere Teil des 21. Jahrhunderts Indien gehören wird. Für jeden Realisten liegt Modis Anspruch im Reich der Fantasie, macht aber bewusst, wie multipolar die kommenden Jahrzehnte sich gestalten können. (Was die Machtverlagerung in ferne Länder betrifft, hatte Indien nichts besseres zu tun als mit dem Aufbau eines Radarnetzwerks in Mauritius, auf den Seychellen, den Malediven und in Sri Lanka zu beginnen, um chinesische Handels- und Kriegsschiffe zu beobachten.)

Das globale Szenario, das die bodenständigen Präsidenten Chinas und Russlands im Kopf zu haben scheinen, ist dem Gleichgewicht der Macht ähnlich, das in Europa ein Jahrhundert nach dem Sieg über Napoleon 1815 existierte. In der Folge dieses schicksalsträchtigen Jahres einigten sich die Monarchen von Britannien, Österreich, Russland und Preußen darauf, dass kein einzelnes europäisches Land jemals so mächtig werden sollte, wie Frankreich unter Napoleon gewesen war. Die daraus resultierende Pentarchie („Herrschaft der Fünf“) dauerte dann von 1815 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914.  

China und Russland versuchen jetzt sicherzustellen, dass Washington nicht länger weltweit hemmungslose Macht ausübt, wie es zwischen 1992 und Sommer 2008 getan hat. Anfang August 2008, überwältigt von den sich auftürmenden Herausforderungen ihres Kriegs gegen Afghanistan und ihrer militärischen Okkupation des Irak, beschränkte sich die Bush-Administration auf verbale Verurteilungen von Russlands militärischem Vorgehen mit dem Ziel, Eroberungen, die der prowestliche Präsident Georgiens Mikheil Saakashvili in einem unprovozierten Angriff auf das abgespaltene Land Südossetien gemacht hatte, wieder rückgängig zu machen.

Denken Sie an diese Episode als einen wenig beachteten Merkstein des Endes eines unipolaren Planeten, auf dem amerikanische Macht meistens ungehindert ausgeübt wurde. Wenn dem so ist, dann willkommen im neunten Jahr einer multipolaren Welt!

 
     
  erschienen am 11. Oktober auf TomDispatch.com > Artikel  
 
siehe dazu im Archiv:
  Paul Craig Roberts - Obama vergöttlicht die amerikanische Hegemonie
  Vladimir Putin - Rede vor der Generalversammlung der UNO
  John V. Walsh - Warum sind Russland und China (und der Iran) vorrangige Feinde der herrschenden Elite der Vereinigten Staaten von Amerika?
  Jean-Paul Pougala - Die Lügen hinter dem Krieg des Westens gegen Libyen
  Garikai Chengu - Libyen: Von Afrikas reichstem Staat unter Gaddafi zu einem gescheiterten Staat nach dem NATO-Überfall
  John Philpot - Versagen des Internationalen Rechts und der Menschenrechtsinstitutionen: Palästina, Syrien und Irak im Jahr 2014
  Ismael Hossein-zadeh - Das Chaos im Mittleren Osten und darüber hinaus ist geplant
  Glen Ford - Obamas Krieg gegen die Zivilisation
  Stephen Kinzer - BP im Golf – im Persischen Golf
  Greg McInerney - Die Ruinierung Irlands
  Bruce Cumings - Koreanische Kriegsspiele
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  Jonathan Turley - Das Große Geld hinter dem Krieg: der militärisch-industrielle Komplex
 
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