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  Bewaffnete Unsicherheit

Robert C. Koehler

 

“… keine richtige Sicherheit, nur Kräfte der Vergeltung.“

Das schrieb Norman Mailer vor über vierzig Jahren in seinem Buch Miami and the Siege of Chicago (Nixon in Miami und die Belagerung von Chicago) über die obsessiven Sicherheitsmaßnahmen – „Helikopter über uns wie eine Achterbahn, Nationalgarde mit Magnums an der Hüfte und mit Sturzhelmen, Streifenwagen, Motorrädern“ – bei den nationalen Parteikongressen der Demokraten und Republikaner, die ... eigentlich gar keine Sicherheit brachten, es uns aber möglich machten, uns im Nachhinein zu rächen.

Das ist noch immer der unbemerkte Irrsinn, der in der amerikanischen Berichterstattung herumgeistert, egal ob sich die Geschichte um inländische oder um internationale Ereignisse dreht. Als Gesellschaft sind wir bewaffnet und gefährlich – und immer im Krieg, sowohl im Kollektiv als auch individuell. Wir deklarieren (offiziell und inoffiziell) endlos Menschen zu schlechten Kerlen und schützen uns endlos vor ihnen und stellen auf diese Weise sicher, dass die Gewalt weitergeht. Und die Parallelen zwischen „denen“ und „uns“ bringen uns aus der Fassung. 

Mohammad Abdulazeez eröffnete das Feuer auf ein Ausbildungszentrum der Marine in Chattanooga und tötete fünf Menschen. Er litt an einer Depression und war möglicherweise von ISIS radikalisiert. Fox News schlagzeilte über dem Bericht: „Gunman in Tennessee war bis an die Zähne bewaffnet und bereit für den Krieg gegen Amerika.“ Die Geschichte handelte davon, dass er ein in Kuwait geborener naturalisierter amerikanischer Bürger war.

Wenige Tage danach stellte der Besitzer eines Waffengeschäfts in Florida ein Video auf YouTube, in dem er, die Fahne der Konföderierten hinter sich, als er sprach – schwor, im Geist von Dylann Roofs Mord an neun Afroamerikanern in Charleston, South Carolina, dass sein Geschäft Florida Gun Supply in Inverness jetzt eine „moslemfreie Zone“ ist.

„Ich werde nicht diejenigen bewaffnen und ausbilden, die meinen Landsleuten Schaden antun wollen,“ sagte er, indem er paradoxerweise für eine gruselige, rassistische Form der Waffenkontrolle eintrat. 

Er sagte auch: „Wir stehen im Kampf, Patrioten, aber nicht nur gegen den islamischen Extremismus. Wir stehen auch im Kampf gegen extreme Political Correctness, die unsere Leben bedroht, denn wenn wir das Böse nicht ‚böse’ nennen dürfen aus Angst, Leute zu beleidigen, dann können wir unsere Feinde nicht wirklich besiegen.“

Ray Mabus, Marineminister der Vereinigten Staaten von Amerika, sprach von der Schießerei mit weniger Klarheit über die Natur des Gegners: „Während wir erwarten, dass unsere Seeleute und Marines den Kopf hinhalten, und das machen sie ohne zu zögern, ist eine Attacke zuhause, in unserer Gemeinschaft, heimtückisch und unerklärlich.“

Nur wenige Tage später starben mindestens 10 afghanische Soldaten – amerikanische Verbündete – „zuhause, in ihrer Gemeinschaft,“ als der Grenzposten, den sie im Osten Afghanistans bemannten, von einem Helikopterangriff der Vereinigten Staaten von Amerika ausgelöscht wurde, den der afghanische regionale Befehlshaber als „einen sehr großen Fehler“ bezeichnete. Er betonte gegenüber der Washington Post, dass die Angreifer wissen hätten sollen, dass sie nicht den Feind vor sich hatten, weil es in hellem Tageslicht geschah und „die afghanische Fahne auf unserem Mast wehte, als wir angegriffen wurden.“

Na gut, Sie wissen ja, Kollateralschaden und das alles. Solche Dinge passieren. Aber irgendwie verursachte der Tod dieser Soldaten nicht die gleiche Aufregung wie die Morde in Chattanooga, obwohl die Leben der Opfer gleich wertvoll und in beiden Fällen durch eine Attacke beendet wurden, die für sie gleichermaßen unfassbar erschien.

Während jedoch die Schießerei in Chattanooga eine „entsetzliche Attacke“ war, handelte es sich bei den Tötungen durch Beschuss aus den eigenen Reihen um einen „Vorfall“ – nicht anders als alle die anderen Tötungen von Zivilisten in Afghanistan, im Irak und wo immer auch im Lauf des vergangenen Jahrzehnts - durch Bomben oder Raketen, seien sie zufällig, beabsichtigt oder was auch immer. Das Wall Street Journal fügte hinzu, dass der Vorfall „die Beziehungen belastet“ zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und deren Allierten in dem Krieg, der keine Aussicht auf eine Ende hat, fügte aber hinzu, dass „der Luftangriff untersucht wird,“ die neue Grabinschrift für Berichte, die bis zum St. Nimmerleinstag in der Schublade vergraben werden.  

Das alles bringt mich zurück zum Zitat von Norman Mailer, dass wir keine richtige Sicherheit haben, sondern nur eine gewaltige Stärke, um zu vergelten. Das ist die Natur bewaffneter Selbstverteidigung. Um das Gefühl zu haben, als hätten sie etwas Kontrolle über eine unerklärlich komplexe Welt, klassifizieren viele, viele Menschen – inspiriert durch die Regierungen, die sie entweder verehren oder verachten – große Teile der menschlichen Rasse als schlechte Typen, die daher nicht als vollwertige Menschen betrachtet oder behandelt werden müssen.

Vor einigen Jahren schrieb ich, als ich über den „moralischen Schaden“ sprach, den so viele Veteranen von ihrem Kriegsdienst nachhause bringen: „Töten ist keine einfache Sache. Es ist kein Spaß. Es lässt sich begründen, dass es in manchen Fällen notwendig ist, aber beim militärischen Töten geht es nicht um Selbstverteidigung. Soldaten werden ausgebildet, um auf Befehl zu töten, und das nicht nur durch Übungen zur Ausbildung der physischen Bereitschaft, sondern durch Entmenschlichung des Feindes: einen Kult der Entmenschlichung, könnte man sagen. Es stellt sich heraus, dass wir nicht jemand anderen entmenschlichen können, ohne uns selbst zu entmenschlichen.“  (> LINK)

Und je mehr Menschen den Bezug zu ihrer eigenen Menschlichkeit verlieren, desto mehr, fürchte ich, werden sie es nötig finden, sich zu bewaffnen – indem sie sich verzweifelt einbilden, dass das dasselbe ist wie sicher zu sein. Und der Nachrichtenzirkus wird weitergehen und endlos mehr vom Gleichen in uns hineinstopfen. 

 
     
  Archiv > Artikel von Robert C. Koehler auf antikrieg.com  
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Sehen Sie dazu im Archiv:
  Ann Jones / Nick Turse - Amerikas Kindersoldaten
  Chase Madar - Guantánamo, Ausnahme oder Regel?
  Glenn Greenwald - Das Verbrechen des “Nicht-Zurück-Schauens”
  Dmitry Orlov - Amerikas Achillesferse
  Neil deMause - New York Times geht nach Baltimore, findet es nur der Mühe wert, mit der Polizei zu sprechen
  Paul Craig Roberts - Privatisierung ist ein Sprungbrett für Korruption, Gleichgültigkeit ist ein Sprungbrett für Krieg
  Susanne Kablitz - Die Magie der Angst
  Debbie Harbeson - Einige tiefer gehende Gedanken zum Krieg
  Oded Na'aman - Die Kontrollstelle
  Glen Ford - Obamas Krieg gegen die Zivilisation
  Jonathan Turley - ‘Wir haben ein paar Leute gefoltert’
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  David Swanson - Das Pentagon versucht, aus Verlierern Sieger zu machen
 
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